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Kultur: Iss mich!

Originell, eckig, politisch: Die Galerie Tanas verhilft zu Einblicken in neue türkische Kunst.

„Lodos“ nennen die Bewohner der Ägäis den störrischen Sommerwind. Er soll die Ausstellung „Turkish Art New and Superb“ im Tanas Berlin umwehen. Kunstsammler René Block wählte zusammen mit der Istanbuler Kuratorin Ece Pazarbaei 13 Künstlerinnen und Künstler aus, die sich nicht gefällig geben oder bewundernd in die europäische Kunstszene hinüberschielen. Die meisten kamen in den siebziger Jahren in der Türkei zur Welt und leben heute in Istanbul.

Das Kollektiv Ha Za Vu Zu ist mit Fotos seiner aktuellen Arbeit „My Ass in The Googlearth“ vertreten: Auf einer Wiese des Tempelhofer Felds hat die Gruppe mit Hilfe von Planen einen Teil der Grasfläche heller gefärbt, so dass die Umrisse eines Flugzeuges zu erkennen sind. „Bodentätowierung“ nennt sie das.

Ebenfalls sehr originell ist der Beitrag von Mehtap Baydu. „Eat me, meet me“, eine Aufzeichnung ihrer Performance in der documenta-Halle im Jahre 2010 zieht in den Bann, weil sie der viel gerühmten türkischen Gastfreundschaft ironisch ein Schnippchen schlägt. Die Künstlerin bietet sich selbst an. Ihr Kleid besteht aus „Pestil“, einer anatolischen, pergamentartigen Süßigkeit aus getrocknetem Obst. Die Besucher können es sich Stück für Stück einverleiben. Ali Miharbi hingegen stellt nicht den Menschen in den Mittelpunkt, sondern die Technik. Seine Klanginstallation „Pulse“, deren Knall immer wieder durch den Ausstellungsraum peitscht, ist bei näherer Betrachtung mit deutschen, englischen und türkischen Wortfetzen verziert.

Die Themen der Arbeiten sind grob mit der Überschrift „Wer bestimmt unsere Identität“ umreißbar. „Identität“ – das ist in der Türkei ein politisch besetztes Wort. Zu einer Zeit, in der vieles in der Türkei und in den Nachbarländern im Umbruch ist, finden und erfinden sich neue Identitäten. Trotz oder gerade wegen der Denkverbote, die noch herrschen. Ist jemand Türke, kann er nicht gleichzeitig Kurde sein. Eine Frau wird zum Mann, wenn sie den Ton angibt. Muslime und Atheisten sind sich spinnefeind. Anatolier werden niemals Istanbuler. All diese vermeintlich allgemeingültigen Aussagen müssten dringend zu Fragen transformiert werden.

Antworten dazu sucht Günee Terkol. Sie stellt das „Frausein“ in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Ihre Wandteppiche bestickte sie bereits an drei verschiedenen Orten auf der Welt. Frauen vor Ort halfen ihr. Den Wandteppich der Berliner Frauen, Gastarbeiterinnen der ersten Generation, zieren schwarze Schattenfrauen mit fliegenden, von ihnen beschrifteten Flugdrachen. „Die Welt ist schön, aber ich habe nicht gelebt.“ Ein Leben, eingefangen in einem Satz. Schon allein dafür lohnt es, dem Südwind „Lodos“ in die Galerie Tanas zu folgen.

„Turkish Art New And Superb“: Bis 28. Juli in der Galerie Tanas, Heidestraße 50, Di–Sa 11–18 Uhr, Eintritt frei. Führungen in Deutsch und Türkisch.

Ebru Taedemir

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