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Kultur: Iss und stirb

Das Henkersmahl als Horrorfilm: Zwei schwedische Künstler attackieren im Bethanien die Todesstrafe

Als Ricky Ray Rector satt war, bat er den Gefängniswächter, seine Nachspeise für später aufzubewahren. Nach der Hinrichtung würde er sie essen. Er hatte einfach nicht verstanden, dass an diesem Abend des 24. Januar 1992 er selbst seinen letzten Gang antrat. Elf Jahre zuvor hatte er einen Polizisten getötet. Das Nusseis, das er sich für sein letztes Mahl gewünscht hatte, schmolz, während seine Henker mehr als fünfzig Minuten nach einer geeigneten Vene suchten, um die Giftspritze zu setzten. Rector half ihnen dabei. Der Afroamerikaner war geistig behindert, trotzdem genehmigte Bill Clinton die Exekution.

Um diese grotesk-grausame Begebenheit zu illustrieren, haben Mats Bigert und Lars Bergström schmelzendes Nusseis gefilmt. Erklärender Text wird eingeblendet, dann das Klicken eines Fotoapparates, ein Blitz, der Teller macht eine Viertelumdrehung, jetzt noch ein Blitz für ein Profilfoto vom Eisbatzen. Wie nach der Verhaftung eines Verdächtigen werden Verbrecherfotos für die Akten geschossen. Völlig absurd. Was hat das Essen denn angestellt? Mit dieser Frage hat das Künstlerduo Bigert und Bergström bereits ein wichtiges Ziel erreicht. Ihr Film „Last Supper“, aktuell zu sehen im Künstlerhaus Bethanien, ist eine Anleitung zum Fragenstellen. Zum Infragestellen von Absurdem. Von etwas so Absurdem wie einer Henkersmahlzeit.

Mats Bigert, geboren 1965, und Lars Bergström, Jahrgang 1962, arbeiten seit achtzehn Jahren zusammen. Kennengelernt haben sich die beiden Schweden Ende der achtziger Jahre auf der Kunstakademie in Stockholm. Dort leben sie auch heute, nur kurz unterbrochen von einigen Monaten Ende der Neunziger, als sie sich in Berlin niederließen. „Uns hat aber nichts gehalten in Berlin“, erzählt Jens Bergström. „Wir arbeiten hier nicht anders als in Stockholm“, und ohne Unterbrechung führt Mats Bigert den Satz fort: „Unsere Kraft und Energie ziehen wir nicht aus der Umgebung, auch nicht aus dieser damals noch so unfertigen, chaotischen Stadt.“

Im Gespräch fällt auf, dass sich die beiden Künstler nie gegenseitig ins Wort fallen. Sie schließen vielmehr an die Sätze des anderen automatisch an und führen sie zu Ende. Ihre Augen scannen ständig die Umgebung. Kreativität entsteht bei Bigert und Bergström aus der Zusammenarbeit, in einem Prozess gegenseitiger Befruchtung. Sie sind keine Antipoden, ihr Aufeinandertreffen führt nicht zu einer kreativen Explosion mit Funkenflug, der intensiv leuchtet, meist aber nur kurzlebig ist. Sie ergänzen sich. Die Idee des einen wird vom anderen aufgegriffen, bearbeitet, umgeformt und wieder zurückgegeben, zur weiteren Bearbeitung. So entsteht eine endlose Assoziationskette, aus der die verschiedenen Projekte organisch erwachsen, Filme, Installationen, Performances und Theaterarbeiten.

Auch der Film „Last Supper“ ist Resultat eines langwierigen Entwicklungsprozesses. Ausgangspunkt war eine kleine Meldung in einer schwedischen Zeitung, in der von der letzten Speisung eines zum Tode Verurteilen berichtet wurde. Und die Künstler fragten sich: Warum gibt es diesen Brauch? Woher kommt er? Welche Bedeutung hatte die Henkersmahlzeit früher? Und hat sie heute noch einen nachvollziehbaren Sinn? Eine umfangreiche Recherche war notwendig, um die Fragen zu beantworten. Bigert und Bergström reisten nach Texas, Südafrika, Kenia, Thailand, Singapore, Deutschland und auf die Philippinen, befragten Gefängniswärter, die in Todestrakten arbeiten, sprachen mit Köchen, die letzte Mahlzeiten zubereiten, und forschten bei Richtern und Wissenschaftlern nach. Geschichtsbücher lieferten das historische Gerüst. Daraus entstand ein beeindruckender Film. Überwiegend ist dokumentarisches Bildmaterial zu sehen, kunstvoll aufbereitet durch skulpturale Installationen, Grafik-Animationen oder assoziative Bilder. Ein ungeheurer Sinn für kraft- und fantasievolle Illustration wird sichtbar, manchmal grell plakativ, brutal, dann wieder subtil, doch nicht weniger schmerzhaft.

Auch das grundlegende Prinzip der künstlerischen Arbeit des schwedischen Kunsttandems ist zu erkennen. Bigert und Bergström gehen beinahe wissenschaftlich vor, akribisch genau, technisch perfekt und versuchen so auch, der Wissenschaft einen Weg aus der Krise zu zeigen: Der Wissenschaft, die angetreten war, ewige Wahrheiten zu entdecken, sich aber heute in ihrem Erkenntniszuwachs in immer bescheideneren und kurzfristigeren Aussagen aufreibt, stellen sie das subjektiv Künstlerische an die Seite. „Auch wenn man die Erscheinungen wissenschaftlich erfassen und aufzählen kann, die Welt hat man damit noch lange nicht eingefangen“, sagt Bigert.

Welten gibt es so viele wie Menschen, eine Wahrheit existiert nicht außerhalb des Betrachters. Aus diesem Grund versuchen Bigert und Bergström den Betrachter mit ihrer Kunst physisch zu attackieren. Ob auf der Expo 1998 in Lissabon, als sie den schwedischen Pavillon entwarfen, bei Ausstellungen im Pariser Centre Pompidou oder auf der Biennale in Venedig. Immer schaffen sie Räume, die einen gefangen halten, in denen Videoprojektionen oder Installationen unmittelbar und körperlich auf den Betrachter einwirken.

Für „Last Supper“ haben sie ein kleines Kino gebaut. Im Künstlerhauses Bethanien steht es in einem aseptisch rein wirkenden, weißen Raum, ein von dunkelblauen Vorhängen verdeckter Kasten. Im Inneren sitzt man auf chromglänzenden Stühlen, alles wirkt kühl und sauber. Die Situation der Zuschauer ähnelt der des Publikums einer Hinrichtung, das vor einer Glasscheibe sitzt. Schnell stellt sich ein beklemmendes Gefühl ein. Doch „Last Supper“ zeigt keine Hinrichtung. Vielmehr macht der Film deutlich, wie eine Tradition, die ursprünglich geschaffen wurde, um den Toten etwas für den Weg ins Totenreich mitzugeben, jeden Sinn verloren hat. Das Mahl ist ein anachronistisches Ritual, so absurd wie die Todesstrafe selbst, ohne Verbindung zur Vergangenheit.

„Man isst, um zu leben. Warum sollte jemand eine Stunde vor seiner Hinrichtung noch etwas zu sich nehmen?“, fragt Bergström. Das sei nichts weiter als eine gütig erscheinende Geste des Staates. Des Staates, der seine Delinquenten oft jahrelang gefangen hält und dann, ein paar Stunden vor der Vollstreckung noch einmal, ein letztes Mal, wählen lässt. Huhn oder Rind? Frittiert oder gebraten? Zwischen 1924 und 1964 wurden im Gefängnis Huntsville, Texas, 361 Menschen auf dem elektrischen Stuhl getötet, erfährt man im Film. Oft konnte der zum Tode Verurteilte noch das verbrannte Fleisch seines Vorgängers riechen, kurz nachdem er ein Steak verspeist hatte. Well done.

Der Film „Last Supper“ von Bigert und Bergström ist noch bis zum 11. März im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, zu sehen, Mi–So 14 bis 19 Uhr.

Sebastian Gierke

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