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Kultur: Ist Jörg Haider ein guter Schauspieler, Herr Turrini?

Peter Turrini, 55, ist einer der meistgespielten österreichischen Dramatiker der Gegenwart. Als Markenzeichen des gebürtigen Kärntners gilt die Lust an der Provokation.

Peter Turrini, 55, ist einer der meistgespielten österreichischen Dramatiker der Gegenwart. Als Markenzeichen des gebürtigen Kärntners gilt die Lust an der Provokation. Er debütierte erfolgreich mit dem Stück "Rozznjogd"; seine erste Uraufführung am Wiener Burgtheater, "Tod und Teufel", löste 1990 eine Welle der Empörung aus. Nach zahlreichen sozialkritischen Volksstücken, Komödien und einer Fernsehserie erschien 1996 seine Essaysammlung "Liebe Mörder". Das Gespräch führte Henryk M. Broder.

Herr Turrini, "Gehen oder Bleiben" war das Motto einer Künstler-Debatte im Burgtheater, bei der auch ein Text von Ihnen verlesen wurde. Wollen Sie auswandern?

Ich denke nicht daran. Die Künstler in Österreich waren immer privilegiert, und zwar durch hohe Aufmerksamkeit, jetzt mischt sich diese Aufmerksamkeit mit Aggression, mit Künstlerhass, da rennt man doch nicht davon. In meinem Pass stand unter der Rubrik "Beruf" immer Heimatdichter, jetzt bin ich noch eine Spur heimattreuer geworden. Wenn jemand das Land verlassen soll, dann sind es Herr Haider und seine Partei. Ich bleibe hier, schließlich trage ich ja einen typisch österreichischen Namen: Turrini.

Wie erklären Sie sich Haiders Erfolg, den viele Ihrer Kollegen nicht verstehen können?

Es ist vor allem der Erfolg eines nicht ganz untalentierten Schauspielers. Erlauben Sie mir einen kurzen historischen Ausflug. Nach dem Zweiten Weltkrieg teilten die beiden Großparteien ÖVP und SPÖ das Land untereinander auf. Sie stellten jedem ehemaligen Nazi einen Persilschein aus, wenn er nur bereit war, ein rotes oder schwarzes Parteibuch zu beantragen. Er musste nur die Kopfbedeckung, den Stahlhelm mit dem Trachtenhut tauschen, schon war er Demokrat. So merkwürdig das klingen mag: Diejenigen Nazis, die zu diesem schnellen Kostümwechsel unfähig waren, blieben draußen vor der Tür. Für diese "Aufrechten" und Ewiggestrigen wurde eine eigene Partei gegründet, die VdU, aus der später die FPÖ wurde. Sie war eine freie Gruppe, welche im Staat nicht mitspielen durfte.

praktisch und metaphorisch ...

Mehr praktisch als metaphorisch. War die VdU eine Partei, welche jene aufnahm, die nicht in den neuen Staat durften oder wollten, so ist die FPÖ eine Partei, die alle aufnimmt, die nicht in die Staatstheater dürfen. Jörg Haider, der in seiner Jugend an mehreren Theatern versucht hatte, ein Engagement zu kriegen, und abgewiesen wurde, versammelte fortan alle Abgewiesenen, alle Mühseligen und Beladenen. Als eine Fernsehmoderatorin im ORF gekündigt wurde, saß sie drei Tage später im Parteivorstand der FPÖ. Als Peymann keine Stücke mehr von Peter Sichrovsky spielen wollte, ging letzterer in die Haider-Partei. Als Herr Mölzer mit seinen Romanen, die er im Selbstverlag herausgab, finanziell scheiterte, wurde er Haiders Kulturberater.

Rund 35 Prozent der Jungwähler haben Haider gewählt.

Viele junge Leute lieben Jörg Haider. Meine Kärntner Freunde erzählen mir, dass Haider jede Nacht durch die Kärntner Discos geht, junge Leute duzt, ihnen seine Visitenkarte überreicht und sagt, sie könnten ihn jederzeit anrufen. Kärnten hat die höchste Arbeitslosenrate von ganz Österreich, doch Haider diskutiert keine politischen Lösungen, er begründet Männerfreundschaften, er schafft Vertrautheiten. Er schaut den verlorenen Kindern in die Augen und spielt ihnen den Bruder, den Freund, den Vater vor. Die Bauern befreit er vom EU-Joch, die Arbeiter befreit er von den ausländischen Arbeitskräften, die Oma befreit er vom Ischias, und die freie Gruppe wächst und wächst.

Politik als Fortsetzung der Schauspielerei mit anderen Mitteln?

Alle Schauspieler sind Lügner, und die großen Schauspieler sind die größten Lügner. Das müssen sie auch sein, wie sollen sie sonst ständig ein anderer sein? Schauspieler geben ihrem Gegenüber immer das Gefühl der Übereinstimmung. Jeder, der mit Haider redet, hat nachher das Gefühl, zutiefst von ihm verstanden zu werden. Es ist Theater, was da abläuft, und deshalb wird alles immer irrationaler: Für Haiders Anhänger, die Mitglieder der freien Gruppe, ist er ein Heilsbringer, der alle Probleme, die persönlichen und die beruflichen, lösen wird, und für seine Gegner ist er die Inkarnation des Unheils. Alles Böse geht von Haider aus. Diese Verteufelung ist ebenso lächerlich wie seine Glorifizierung.

Wie lange kann man mit dieser Methode in der Politik bleiben?

Ich fürchte, sehr lange. Es ist Haiders Ziel - wie es das Ziel jedes Schauspielers ist -, dass seine Gemeinde wächst. Er muss immer etwas Neues spielen, immer neue und immer mehr Rollen auf den Spielplan setzen. Als er vor zwanzig Jahren begann, waren sein Publikum ein paar greise SS-Angehörige. Von diesem Publikum konnte keine freie Gruppe auf Dauer leben, also kamen die Arbeiter, die Unternehmer, die Jugendlichen, die Greise und die Bergsteiger dazu. Ich denke, dass Haider in absehbarer Zeit in Mauthausen, einem ehemaligen Konzentrationslager, eine Gedenkrede halten wird, zwecks weiterer Publikumsvermehrung. Die ganze Welt wartet auf seinen nächsten faschistischen Ausrutscher, aber er plant gerade seinen antifaschistischen Einstieg.

Viele Künstler und Intellektuelle sagen, sie spüren schon den aufkommenden Faschismus.

Ich halte Haider keineswegs für einen Faschisten im klassischen Sinne, die Faschisten sind nämlich ihrer grauslichen Überzeugung immer treu geblieben. Haider wechselt seine Überzeugungen ständig, er verfügt über eine Unsumme von Überzeugungen, von Rollen, und darunter befindet sich auch eine faschistische. Und außerdem: Wir sind ja auch noch da. Die Künstler und Intellektuellen sollen nicht so viel klagen, sondern das tun, was ihrem Gewerbe entspricht: Dichten, Bildhauern, Malen. Dieses Gefühl der künstlerischen Ohnmacht schafft doch nur Platz für die Macht der anderen. Von meinem Vater, der ein italienischer Kunsttischler war, habe ich gelernt, dass man nicht jammern soll über wackelnde Tische, sondern so lange arbeiten soll, bis der Tisch nicht mehr wackelt. Wir sind die besseren Künstler als Herrn Haiders versammelte Halbtalente.

Ist es nicht auch ein Kampf der Patrioten um die kulturelle Lufthoheit?

Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich ein österreichischer Heimatdichter bin. Ich weiß nicht, ob hinter jedem Deutschen ein Deutscher steckt, aber hinter jedem Österreicher steckt bestimmt ein anderer. Der Österreicher ist ja gar kein Österreicher, einen echten Österreicher gibt es in ganz Österreich nicht. Wir sind eine Mischung, eine Pinscherei aus Tschechen, Ungarn, Slowenen, Italienern und dem Rest von Europa, vor allem Osteuropa. Kreisky, Sinowatz, Vranitzky, Klima, das waren die letzten vier österreichischen Bundeskanzler, und was waren sie? Jüdischer, kroatischer und tschechischer Herkunft, typische Österreicher. Und da kommt Herr Haider, bellt ein paar Mal großdeutsch daher und sagt, wir seien alle echte Schäferhunde. Ich verrate Ihnen die ganze Wahrheit über Jörg Haider. Er ist ja nicht nur Anführer einer bellenden freien Gruppe, er ist ja auch Tscheche.

Wie bitte?

Ja. Er heißt in Wahrheit Jiri Haiduschka und stammt aus Treplow in Nordböhmen. Es ist wahr, eine Tragödie.

Was sagen Sie zu Haiders Rücktritt vom Parteivorsitz?

Ich habe sofort Claus Peymann angerufen und ihn gebeten, Jörg Haider als Schauspieler zu engagieren, damit er in Zukunft kein politisches Unheil mehr anrichten kann.

Herr Turrini[\"Gehen oder Bleiben\" war das Motto e]

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