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Berlusconi

© AFP

Italien: Raus aus dem Dschungel

Der Bauch hat entschieden: Was Italiens Intellektuelle dem Wahl-Coup Berlusconis abgewinnen.

Eine Bucht und ein Abendhimmel, so blau wie auf einem Gemälde von Carl Blechen. Während die Nation die ersten Wahlergebnisse erfährt, sind wir an der Uferpromenade in Neapel unterwegs. Unser Ziel ist das zentrale Wahlkampfbüro von Walter Veltronis Demokratischer Partei. Es scheint ein fast normaler Abend, auf den ersten Blick. Kaum Verkehr, vereinzelt Passanten wie stumme Statisten. Als wir an der Ampel stehen bleiben, biegt ein ramponierter Motorroller unter schrillem Hupen um die Ecke. „Viva Silvio! Wir haben gewonnen!“, kreischt der Fahrer in unsere Richtung. Hinter ihm sitzt seine Familie: eine verwelkte Schönheit Ende vierzig und die kleine, pummelige Tochter in rosafarbenem Trainingsanzug. Beide Damen ohne Helm, naturalmente.

Im schmucklosen Büro des „Partito Democratico“ herrscht die verkaterte Stimmung des Tages danach. Ein riesiger Plasmabildschirm zeigt live ein Interview mit einem Vertreter des Wahlsiegers „Volk der Freiheit“. Keiner nimmt Notiz davon. Ein paar junge Leute drängen sich um einen Herrn von seriösem Aussehen: Professor Pasquale Ciriello, Rektor von Neapels Hochschule für Fremdsprachen. Soeben kam die Bestätigung, dass der Ordinarius einen Sitz im Parlament errungen hat. Doch taucht auf seinem Gesicht wenig Freude darüber auf. Im gleichen Augenblick ziehen die johlenden Anhänger des Silvio Berlusconi auf ihren Motorrädern an der Tür des Wahlbüros vorbei. Fahnen werden geschwenkt wie nach einem Triumph der Fußballmannschaft ihres Herzens.

Mit dem Erfolg von Berlusconis Wahlbündnis „Volk der Freiheit“ hatten viele in Kampanien gerechnet. Der Mitte-linksRegierung der süditalienischen Region wird Ineffizienz und Korruption vorgeworfen. Eklatantes Beispiel ist das heute immer noch ungelöste Problem der Müllentsorgung, die peinlichen Bilder gingen um die Welt. Vom Regionalpräsidenten Antonio Bassolino konnte sich Walter Veltroni nur schwer distanzieren, obwohl Bassolino während des Wahlkampfs nur äußerst sporadisch an die Öffentlichkeit trat.

„Eine Stimme für die Demokratische Partei hätte für viele Politiker in Neapel gleich bedeutet: Gut so, machen wir unbekümmert weiter“, erklärt Raimondo Di Maio, Chef des unabhängigen Literaturverlags „Dante & Descartes“. Ein Zeichen hierfür ist auch die Wahlbeteiligung, die an den Schauplätzen der Müllkatastrophe – wie in Savignano Irpino – so niedrig wie noch nie zuvor ausfiel. Nur hundert Wähler gaben hier ihre Stimme ab.

Am gleichen Abend besuchen wir die Redaktion des „Corriere del Mezzogiorno“, die süditalienische Ausgabe der nationalen Tageszeitung „Corriere della Sera“. Der Chefredakteur Francesco Durante wirkt traurig, während er eine Zigarette auf dem schmalen Balkon raucht. Wie erklärt er sich die Rückkehr Berlusconis? „La pancia del paese è quella“ – so sei der Bauch des Landes, das seinen Instinkten folgt. Der Medientycoon Berlusconi habe die Träume von Jung und Alt durch seine TV-Kanäle gestaltet. Wie viele seiner Kollegen im In- und Ausland könne sich der Journalist den wiederholten Erfolg des „Rattenfängers von Hameln“ schwer erklären.

Also die pancia, das eigene Wohlergehen oder irrationale Wunschvorstellungen leiteten viele Italiener bei ihrer Wahlentscheidung. Was macht aber das Gehirn, fragt man sich? Wo stehen die italienischen Intellektuellen? Die wichtigsten Stimmen Italiens – unter ihnen Roberto Benigni, Dario Fo und Ettore Scola – haben Veltroni unterstützt. Viele Beobachter sind sich aber auch darüber einig, dass Künstler und Autoren ihre Vorbildfunktion verloren haben.

Der Mailänder Feltrinelli-Verlag steht seit seiner Gründung der Linken nahe. Obwohl Inge Feltrinelli die Geschäfte größtenteils ihrem Sohn Carlo übertragen hat, sind „le edizioni Feltrinelli“ nach wie vor von ihrem Geist und ihrem Gespür geprägt. Die Verlegerin bedauert das Wahldebakel von Fausto Bertinottis Regenbogenkoalition (Kommunisten und Grüne), die wegen der 4- und 8-Prozent-Sperrklausel den Einzug ins Parlament nicht schaffte. Aber den unerwarteten Erfolg der „Lega Nord“ betrachtet sie mit großer Sorge. Denn die Partei von Umberto Bossi siegte, wo die Linke versagt hat. Andrea Camilleri, der mit seinen 82 Jahren mit jedem neuen Buch an der Spitze der italienischen Bestsellerlisten steht, hält Berlusconis Sieg für „die italienische Krankheit“.

Der Linken, sagt Inge Feltrinelli, fehlen die starken Leader. Früher sei die italienische Linke eine Bewegung von unglaublicher künstlerischer Kreativität gewesen, „mit einer enormen Ausstrahlungskraft über die Grenzen Italiens hinweg“. Und während der gerade wiedergewählte spanische Premier José Luis Zapatero neun Ministerinnen gekürt hat, treten in Italien wieder die Machos auf die politische Bühne. Eigentlich habe die Linke auch keine Linie zugunsten der Frauen gehabt, klagt Feltrinelli.

Auch die Journalistin Vanna Vannuccini („La Repubblica“) aus Rom kritisiert das hiesige Frauenideal vehement. Sie sieht in Italien eine tiefgehende anthropologische Veränderung, die bereits Anfang der neunziger Jahre angesetzt hat. Private wie staatliche Fernsehkanäle stellen für die Mehrheit der Italiener den wichtigsten Bezugspunkt dar. Nachdem die traditionellen Werte wie Familie und Religion ihre Kraft verloren haben, sind es die Reality- oder Such-den-Superstar-Shows, die der Jugend einen Lebensentwurf anbieten: bestenfalls als Tänzerin oder Sängerin, schlimmstenfalls als „velina“, wie in Italien die stets lächelnden und spärlich bekleideten Assistentinnen bei Quiz- und Sportsendungen genannt werden.

Letzten Endes seien, klagt Vanna Vannuccini, auch die Frauen daran schuld. Frappierend ist für sie, „dass Arbeiter wie Angestellte den Wohlstand nicht von der Linken oder den Gewerkschaften erwarten, sondern von Silvio Berlusconi“.

Anders als der Chefredakteur Francesco Durante in Neapel und die Verlegerin Inge Feltrinelli in Mailand zeigt sich Vannuccini weniger pessimistisch, was die Zukunft Italiens angeht. Positiv sei es, dass sich Italien dem Parteiensystem anderer europäischer Ländern annähere. Die Italiener seien der ewigen Machtspiele der kleinen Formationen überdrüssig gewesen. Denn diese hätten den dringend benötigten Kurs der Reformen während der Prodi-Regierung permanent blockiert. Mit 38 Prozent habe Veltroni ein ausgezeichnetes Ergebnis errungen.

Mit feinem toskanischen Akzent entwirft Vannuccini schließlich für Italien noch die beste aller Visionen dieser Tage: Möglich wäre es, dass sich Silvio Berlusconi, der ja nicht dumm sei, auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere entscheiden würde, endlich ein echter Staatsmann zu werden. Vielleicht lege er seinen Hang, Witze zu erzählen, ab. Und vielleicht schaue er sogar auf die Länder Westeuropas und erkenne, welche Rolle und Bedeutung die Frauen in den Nachbarländern haben. Und entscheidend sei es eben, dass es mit dem Dschungel der kleinen Parteien, die die Linke vergifteten und zerfleischten, nun ein Ende habe.

Am Abend nach der Wahl flimmert ein einsamer Stern über der großen Piazza del Plebiscito in Neapel. Trotz der späten Stunde spielen vier Kinder Fußball. Der Platz strahlt seine atemberaubende Schönheit unbekümmert weiter aus. „Ist das trotz aller Skandale nicht eine wunderschöne Stadt?“, frage ich den Verleger Raimondo Di Maio. „Ja“, nickt er – „aber die Stadt, die machen die Bürger aus“.

Die Autorin ist Leiterin des Goethe-Instituts in Neapel. Kürzlich erschien von ihr das Buch „Gebrauchsanweisung für Neapel“ (Piper Verlag).

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