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Ivo Pogorelich

© AFP

Ivo Pogorelich in der Philharmonie: Aus den Akkorden blitzt pure Gewalt

Gefeiert, bekämpft und immer provozierend bei sich selbst: Ivo Pogorelich spielt Chopin, Mozart, Schumann und Rachmaninow in der Philharmonie.

„Schön“ kann man sein Klavierspiel nicht nennen. Spannend gewiss, aussagekräftig, stets eigener Wahrheit verpflichtet. Seit seinem Karrierebeginn als spektakulärer Nicht-Gewinner des Chopin-Wettbewerbs 1980 ist Ivo Pogorelich umstritten, wird fanatisch bekämpft oder in den Himmel gehoben. In der Philharmonie präsentiert er sich mit fast asketischer Konzentration und ist doch weiterhin provozierend bei sich selbst.

Das zeigt sich vor allem in höchst eigenwilliger Textausdeutung. So verschwindet der schwingende Siciliano-Rhythmus des Andantino von Chopins F-Dur-Ballade fast ganz in der unendlich gedehnten Melodie, aus der einzelne Töne scheinbar unmotiviert und doch neuen Sinn stiftend hervorleuchten. Die Wasserlilien, in die sich laut Adam Mickiewiczs poetischer Vorlage junge Mädchen auf der Flucht vor russischen Horden verwandelten, sind bereits geknickt. Umso gnadenloser fährt das „Presto con fuoco“ darein. Extreme der Dynamik und des mal luftigen, mal vom Pedal massiv verdickten Klangs vertreiben Eleganz und Brillanz auch aus dem cis-Moll-Scherzo.

Man muss sich auf diesen Künstler einlassen wollen

Aus zerbrechenden Formzusammenhängen erheben sich neue, verstörende Erzählungen. Virtuose Brillanz interessiert da nicht, obwohl alles bis aufs i-Tüpfelchen sitzt, geschliffen und geschmeidig. Doch man muss sich einlassen wollen, eigenes Erleben mit dem des Künstlers verbinden, in freier Fantasie des Hörens. Auch Schumanns „Faschingsschwank aus Wien“ ist überhaupt kein Spaß, kein nettes Maskenspiel mit brauseköpfigen „Florestan“- Kommentaren. Die Akkorde, aus denen die seinerzeit verbotene „Marseillaise“ trotzig hervorblitzt, sind pure Gewalt, umrahmen unendliche Melancholien.

Der Weg ist nicht weit zur 2. Sonate von Rachmaninoff, die den Weltschmerz zur Attitüde macht. Schwärzesten Pessimismus verbreiten chromatisch absteigende Hauptlinien, die alle drei Sätze durchziehen und auch die lyrische Thematik infizieren. Dieses wetterleuchtende Terzmotiv rückt Pogorelich durch fragmentierende Akzente in Skrjabin-Nähe. Trotzdem zerfällt das Werk, entbehrt rhythmischer Grundstruktur. Auch Mozarts c-Moll-Fantasie verliert ihr Gleichgewicht: In der Überbetonung des Düster-Dramatischen wird den Dur-Abschnitten die kontradiktorische Rolle entzogen, sie sind nur blasse Überleitungen zum nächsten Vulkanausbruch. Nicht jeder Musik bekommt des Meisters Befragung ihrer Eingeweide.

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