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Nikolai Tscherkassow als Iwan der Schreckliche in Sergei Eisensteins Film aus dem Jahr 1945.

© imago/United Archives

"Iwan der Schreckliche" beim Musikfest Berlin: Hauen, Stechen, Glockenläuten

"Iwan der Schreckliche" im Konzerthaus: Das Rundfunk-Sinfonieorchester und der Rundfunkchor spielen Prokofjews Filmmusik zu Eisensteins Kino-Epos.

Ein gigantischer Abend, groß im Aufgebot, stark in der Wirkung: Im Konzerthaus wird Sergei Eisensteins dreistündiges Filmepos „Iwan der Schreckliche“ aufgeführt. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Frank Strobel spielt dazu die Originalmusik von Sergei Prokofjew, der von Rustam Samedov einstudierte Rundfunkchor Berlin singt, Marina Prudenskaja (Alt) und Alexander Vinogradov (Bass) übernehmen die Solopartien. Anders gesagt, kommen an diesem Abend annähernd zweitausend Menschen zusammen, um in die Geschichte des vergangenen, nein, des 16. Jahrhunderts einzutauchen – doch natürlich ist jegliche Erzählung über einen Tyrannen und sein Volk, wenn sie in den Jahren 1944/45 entstand, immer auch eine Geschichte über Hitler, Stalin und Ihresgleichen.

Und wie Tyrannen zu Macht kommen, welcher Menschentypus ihnen folgt, welcher sie gefährdet, ist hier im Detail nachzuvollziehen. Der historische Großfürst Iwan IV., der sich 1547 zum Zaren von Russland krönen ließ und beschlossen hatte, das neue Russland mit Gewalt gegen die mächtigen Bojaren zu vereinen, es zudem nach Osten und Süden hin zu erweitern, sah sich nicht nur von außen, sondern auch von Machtansprüchen im Umfeld des Hofes bedroht. Und so zeigt auch das Filmepos Freunde, die abtrünnig werden, eine Tante, die für ihren Sohn vorsorgt, eine Ehefrau, deren Herz längst einem anderen gehört, kurz, Gift, Ränke, Eifersucht und Gier, und mitten hinein funkt immer noch die Kirche.

Frank Strobel und die Musiker präsentieren ein Gesamtkunstwerk der besonderen Art

Prokofjews Musik vergegenwärtigt gerade ihren Machtbereich mit aufsehenerregenden Mitteln. Immer wieder tönen Glocken an diesem Musikfest-Abend im Konzerthaus, klingen Kirchengesänge, fügt sich das bewegende Timbre des Chores, selbst Vinogradovs kupfernes Starktremolo auf geheimnisvolle Weise ein in das, was wir Heutigen mit der Klangwelt der ostkirchlichen Liturgie verbinden. Und natürlich ist der Komponist zugleich ein Meister der Drohung, des kriegerischen Sich-Annäherns per Tonmalerei, nicht allein dort, wo es tatsächlich ums Hauen und Stechen geht, Blech und Schlagzeug spitz schießen, sondern auch dort, wo er die Filmmusik späterer Jahrzehnte geradezu vorwegnimmt, beispielsweise das Volk mit einem kaum wahrnehmbaren, umso grausigeren Grummeln begleitet, wenn es sich auf seine Prozession zu Iwan begibt, bis aufs Messer bereit, den Anführer aus der selbstgewählten Isolation zu lösen.

Frank Strobel und seine Assistenten haben diese Musik in langwieriger Arbeit erschließen können, die Partitur neben den Film und die alte Tonspur gelegt und diese Quellen in einem Prozess, dessen Komplexität nur zu erahnen ist, von neuem aufeinander abgestimmt. Es muss ein unglaublicher Aufwand gewesen sein, im Anspruch ebenso hochzielend wie die Aufführung selbst, die von Anfang an keine Kompromisse macht, nicht im Klangvolumen, nicht bei den Solisten, nicht in der synchronen Disziplinierung der Künste, die unter Strobels Leitung nun tatsächlich wie aus einem Munde sprechen: ein Gesamtkunstwerk der ganz besonderen Art.

Immer wieder aufregend: Wie Eisenstein die Schauspieler in Szene setzt

Das natürlich wesentlich von Bestehendem zehrt, zumal davon, wie virtuos Sergei Eisenstein seine Schauspieler in Szene setzt. Überwältigend ist für heutige Gewohnheiten, was die Darsteller allein mit ihren Gesichtern zu bewirken vermögen. Blicke senken sich stumm, jemand beugt sich zur Seite, ein Kinn wird gehoben, ein Auge aufgerissen – schon die große Eingangsszene macht in diesem Sinne deutlich, welche Vorgeschichten die Protagonisten mitbringen, wie sehr ihnen daran gelegen ist, Iwan mit großzumachen oder ihn an seinem Aufstieg zu hindern.

Allen voran beeindruckt Nikolai Tscherkassow als Iwan, der im jungen Mannesalter von androgyner Schönheit ist, als alter Mann ein grausiges Antlitz mit hartem Spitzbart zeigt. Ljudmilla Zelowskaja ist seine schöne Frau, die ihrem Geliebten hinterhertrauert und bald vergiftet wird, Pawel Kadotschnikow spielt den zurückgebliebenen Rivalen Wladimir mit großen Augen, unvergleichlich belämmert. Er wird zuletzt ermordet, das filmische Gegenbild zum Sohn des historischen Zaren, der durch die Hand des eigenen Vaters zu Tode kam.

Arte überträgt den Abend am 7. November um 23.10 Uhr.

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