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Kultur: Ja, die Menschen

Caroline Fetscher staunt über den Politikerjargon der Herablassung Sie will es nun auch: Stoibers neue Kompetenzteamfrau Katherina Reiche - Mutter, Osten, Jugend - erklärt, dass sie „zu den Menschen hingehen“ und „die Menschen ansprechen“ möchte. Ihre Lektion in Politsprech hat sie also gelernt.

Caroline Fetscher staunt über

den Politikerjargon der Herablassung

Sie will es nun auch: Stoibers neue Kompetenzteamfrau Katherina Reiche - Mutter, Osten, Jugend - erklärt, dass sie „zu den Menschen hingehen“ und „die Menschen ansprechen“ möchte. Ihre Lektion in Politsprech hat sie also gelernt. Es gehört zu den Gepflogenheiten der Politiker hier im Land, dass sie von „den Menschen“ sprechen. Als handle es sich um eine störrische Spezies („Die Menschen müssen wieder lernen, dass Leistung zählt!“) oder um Bewohner einer fremden, ethnographisch zu erkundenden Welt („Ich will den Menschen zuhören!“). Frau Reiche, die bei Interviews noch Reste des Charmes einer Unerfahrenen aufweist, lässt sich, obwohl sie gern von „ich und meiner Generation“ oder „Millionen Müttern wie ich“ spricht, auf die gute, alte Diskurspraxis ein.

„Die Menschen“, das ist als Topos der politischen Rede - quer durch alle Parteien und in so gut wie allen Wahlkampfreden - ein interessantes Sujet. Wo lässt sich klarer als an diesem Topos demonstrieren, dass die öffentliche Rede ihre Genese der Predigt, dem heiligen Text verdankt, also traditionell einer Rede, die sich auf höhere Instanzen berufen darf? Nicht „die Leute“ werden angesprochen oder „die Bevölkerung“. Selten heißt es einfach nur „wir“ oder „unsere Gesellschaft“, wie etwa die beiden Mitscherlichs in ihrer Studie zur Trauerfähigkeit in Deutschland schrieben. Aufrufe an „die Menschen“ oder der Wunsch, „zu den Menschen zu gehen“, klingen wie von einem Olymp oder von einer Sonntagskanzel herab gesprochen, oder vom Thron einer sonnenköniglichen Macht. Wer so spricht, nimmt sich aus, und es fragt sich, wo er denn steht. Darüber? Daneben?

Im besten Fall enthält das Hingehenwollen zu „den Menschen“ Anklänge an eine Mutter-Teresa-ähnliche Stellvertreterschaft jener über- oder außerirdischen Kraft. Als Vertreter göttlicher Macht weilt der Redner auf Erden, um sich dort besorgt umzusehen und Gutes zu tun. Er oder sie findet sich also nicht direkt auf dem Olymp, sondern scheint diesem aus einer langen Limousine entstiegen. Solche Implikationen jedoch sind vielen Politikern, besonders den Konservativen, nicht recht bewusst – und manchem „Menschen“ auch nicht. „Der Mensch“, wie ihn an der Wende zum 20. Jahrhundert Schriften und Vorträge der Lebensphilosophie gern untersucht haben, wurde schon von deren Kritikern beargwöhnt: als depolitisierender, biologisierender Begriff.

Deshalb schließen wir mit einem offenen Brief. „Geschätzte Politiker: Zu Bürgergesellschaft und Partizipation passt der Begriff einfach nicht. Viele Grüße von den Menschen.“

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