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Irgendwo fummelt Jack White, hier bei seinem Las-Vegas-Auftritt der aktuellen Tour, immer noch ein Muddy-Waters-Zitat in seine Songs.

© Steve Marcus/Reuters

Jack White in Berlin: Die Gitarre ist sein Zepter

Jack White hat den Rock'n'Roll gefressen. Sein Konzert in der Verti Music Hall klingt bombastisch.

Wer hatte den Rock ’n’ Roll noch mal erfunden? Jack White kann es ja nicht gewesen sein, der Mann ist erst süße 44 und trägt die Frisur von „Edward mit den Scherenhänden“. Irgendetwas hatte er jedenfalls damit zu tun, das wird beim Konzert in der Verti Music Hall am Freitag auch jenen sonnenklar, die die Positionen von Whites bisheriger Laufbahn – White Stripes, Raconteurs, Dead Weather, solo – noch nicht ganz aufzählen können. Jack White, das pfeifen die Spatzen seit dem Megahit „Seven Nation Army“ (allerspätestens seit seiner Zusammenarbeit mit den Rolling Stones) von den Dächern, hat den Rock ’n’ Roll schon aus biologischen Gründen nicht erfunden. Aber er hat ihn gefressen. Gefressen, verdaut, wiedergekäut, neu angemacht und zu etwas Grandiosem geformt, das er mit seiner dritten, im Frühjahr erschienenen Soloplatte „Boarding House Reach“ präsentiert. Und diesen nach frischem Mörtel riechenden, von überflüssigen touristischen Foodketten gesäumten neuen Veranstaltungsort am Mercedes-Platz, dessen einziger Vorteil gegenüber der Mehrzweckhalle in Sichtweite die Konzentration auf Konzerte ist, damit besser einführte als erwartet.

Carla Azar trommelt den Männern was

Um Jack White herum überzeugt am Freitag eine großartige Begleitband mit zwei Keyboardern und einem Bassisten, allen voran Carla Azar am Schlagzeug, die groovt und live sampelt und reinhaut, als ob der Anblick einer Schlagzeugerin in einer All-male-Rockband alltäglich wäre. Das ist überhaupt der Schlüssel zu diesem Jack White aus Detroit, jüngstes von zehn Geschwistern: White klingt auch auf der neuen Platte mit großartigen Tunes wie „Connected by love“ oder „Why walk a dog“, als ob man sämtliche Rocksounds und -klischees zwischen bombastischem Prog- und Krautrock, Psychedelic und Garage leidenschaftlich zusammenfegt und von einem männlichen Feministen interpretieren lässt. Einem echten, der andauernd selbstverständlich mit Musikerinnen arbeitet, und der selbstverständlich einst den Nachnamen seiner (Ex-)Frau angenommen hatte, Meg White, die White-Stripes-Schlagzeugerin, deren gemeinsame Hymnen „Hardest Button to Button“, „You don't know what Love is“ und „I'm slowly turning into you“ er live ebenso spielt wie „I look like a Woman but I cut like a Buffalo“ aus der Dead-Weather-Phase – und, natürlich, „Steady as She goes“. Jack White macht in der fast ausverkauften Halle mal wieder alles richtig: Er ist der König der Song-Dramaturgie, der Kaiser der lebendigen Freddie-Mercury-Stimme und der Sonnengott der perfekten Breaks. Sogar die neuen, mit vielen weirden Elektrosounds aufgepeppten Songs scheppern schnell und laut; das Publikum goutiert auch die folkigeren Balladen, die White nicht mit der kastigen „Music Man St-Vincent“-Gitarre, sondern mit der weißen „Kay Archtop“ akustisch spielt. Und ärgert sich kein bisschen über das anscheinend von White angeregte Handyverbot, das zu einer anrührend-altmodischen Dunkelheit im Zuschauerraum führte – und dazu, dass man das Konzert tatsächlich selbst erinnern muss.

Jake White covert ein Stück von Al Capone

Dass White irgendwann den Riff aus Muddy Waters’ „Baby please don't go“ in ein Outro reinfummelt, wirkt organisch: Er hat von jeher, vermutlich von Geburt in seine polnisch-christliche Familie an, den Blues. Passend dazu spielt er als Zugaben „Ball and Biscuit“ von den White Stripes in einer lasziv-bluesigen, dichten Version, für die sich auch Jimi Hendrix nicht geschämt hätte – um am Schluss noch mal mit allem aufzufahren, was nur geht.

White, der exzentrische Musiknerd und Devotionalien-Sammler, spielt in Berlin auch „Humoresque“ vom neuen Album, über das er neulich in einer US-Talkshow eine irre Geschichte erzählte. Den Song hatte er bei einer Auktion entdeckt, auf der „handgeschriebene Noten von Al Capone“ versteigert wurden, die dieser während seines Aufenthalts auf der Gefängnisinsel Alcatraz verfasst habe. Al Capone soll während der Knastzeit in einer Band namens „The Rock Islanders“ gespielt haben, mit dem berüchtigten „Machine Gun Kelly“ am Schlagzeug. White erstand die mysteriösen Noten, um den Song in New York einzuspielen. Während der Proben sei eine ältere Frau ins Studio gekommen und habe gefragt, wieso sie ein Stück von Antonin Dvorák spielten? Was White teuer ersteigert hatte und in Berlin kurz ansingt, war eine Melodie aus Antonín Dvobáks 1894 vollendetem Klavierzyklus mit einem Text, den Al Capone einst auf Alcatraz interpretierte. Oh, wie gern wäre man damals dabei gewesen – als Besucher.

Aber bis auf solche amüsanten Anekdoten hält Jack White sein Privatleben unter Verschluss. Vermutlich hat er für so was ohnehin keine Zeit: Live wirken seine Performance und seine ungesunde Hautfarbe, als verbrächte er den Großteil seines Lebens in dunklen Übungsräumen. Dass er sich einst zerknirscht darüber äußerte, dauernd Jack-White-Sounds und -Melodien im Radio zu hören, an denen er nichts verdient – „Und in der Hälfte der Fälle sind es die Black Keys“ –, kann man verstehen. Es hilft, so lange zu klatschen, bis die Hände schmerzen. Denn auch wenn Jack White den Rock ’n’ Roll vielleicht nicht erfunden hat: Er ist verantwortlich dafür, dass es ihm noch immer ganz ausgezeichnet geht.

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