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Farbzauber. „Zulu Tea Parlor“ von 1973.

© John Berens

Jack Whitten im Hamburger Bahnhof: Monument für einen Magier

Erstmals in Europa zu entdecken: Der Hamburger Bahnhof zeigt das Werk des afroamerikanischen Malers Jack Whitten.

Auf einer Wand von strahlend blauen Mosaiksteinen wackeln Farbsymbole wie auf dem Display eines Smartphones. Jack Whitten fertigte die „Apps for Obama“ 2011 an. Er wollte damit dem ersten afroamerikanischen Präsidenten der Vereinigten Staaten im Wahlkampf helfen. Jetzt entfaltet der Farbzauber seine Wirkung auf die Besucher der geheimnisvollen Schau „Jack Whitten. Jack's Jacks“ im Hamburger Bahnhof.

Zum ersten Mal ist dieser großzügige Künstler in Europa zu erleben. Die Ausstellung konzentriert sich ganz auf die Arbeiten, die Jack Whitten seinen Verwandten im Geiste gewidmet hat. „Gifts“ – Geschenke nannte er die Bilder, in denen er andere ehrt. Udo Kittelmann, der Direktor der Nationalgalerie, lernte Whittens überbordendes Werk 2007 bei einem Atelierbesuch kennen. Zwar war der Künstler an der Auswahl für Berlin noch beteiligt, starb dann jedoch im Januar 2018.

Afroamerikanische Kulturgeschichte

In seinen Bildern ist der Maler weiterhin präsent, weil er immer den Dialog suchte mit anderen Künstlern, Musikern, Sportlern. „Jack's Jacks“ zeigt die Überwindung der Rassentrennung mit den Mitteln der Farbe und schreibt afroamerikanische Kulturgeschichte, angereichert durch bittere Lebenserfahrung.

Jack Whitten kam 1939 in Bessemer, Alabama zur Welt. Sein Vater war Bergarbeiter, seine Mutter Näherin. Als Jugendlicher lernte er Tenor-Saxophon, später übertrug er die Musik in seine Malerei. Er spielte früh mit dem Gedanken, Künstler zu werden. Aber statt ins Museum wurden die Schüler ins Stahlwerk geführt. Der Anblick der Stahlplatten, die aus dem Ofen kamen, inspirierte Whitten später für seine Arbeit mit Farbe.

Von Alabama nahm die Bürgerrechtsbewegung der Vereinigten Staaten Ende der 50er Jahre mit dem Busprotest von Rosa Parks ihren Ausgang. Als Whitten selbst 1960 in Baton Rouge eine Demonstration für bessere Studienbedingungen an den schwarzen Colleges organisierte und diese in Gewalt ausartete, verließ er den Süden. „Es gibt etwas am Blutvergießen, das dich für immer verändert“, zitiert ihn der Katalog einer Skulpturenausstellung, die posthum im Museum von Baltimore gezeigt wurde – in jenem Museum, das er in seiner Jugend nicht betreten durfte.

Heilende Bilder. Jack Whittens „King‘s Wish (Martin Luther‘s Dream)“ von 1968.
Heilende Bilder. Jack Whittens „King‘s Wish (Martin Luther‘s Dream)“ von 1968.

© John Berens

An der New Yorker Kunsthochschule Cooper Union saß er zum ersten Mal in seinem Leben in einem Raum mit weißen Lehrern und Schülern. Eine Kommilitonin war Mary Staikos, die beiden heirateten 1968. Ein Jahr später reisten die Whittens nach Kreta. Sie war auf der Suche nach ihren griechischen Wurzeln, er folgte dem Ruf eines Traums, wonach er einen Baum schnitzen sollte. Von da an verbrachte das Ehepaar die Sommer auf der griechischen Insel. Hier entstand Jack Whittens wenig bekanntes bildhauerisches Werk. Im New Yorker Atelier konzentrierte sich der Künstler auf seine Malerei, die jetzt in Berlin zu sehen ist.

In der Ausstellung hängen zwei Bilder einander gegenüber, in denen Whittens Entwicklung deutlich wird. „King’s Wish“ von 1968 ist noch mit dem Pinsel auf Leinwand gemalt und steht in der Tradition von Surrealismus und abstraktem Expressionismus. Schaut man genau hin, kann man Gesichter und Gestalten erkennen, die im blutroten Grund versinken. Darüber steigen Farben voller Hoffnung auf, wie die berühmte Rede von Martin Luther King „I have a dream“.

Er suchte nach dem afrikanischen Spirit

Auf der anderen Seite des Eingangs hängt „Delacroix's Palette“ von 1974. Da hat Jack Whitten das Braun, das Grau und das Rot des Impressionismus-Wegbereiters mit dem Rakel zu abstrakten Schemen verzogen – einer Komposition aus Zufall und Plan. Ein ganzes Gemälde mit einer einzigen Geste fertigzustellen, das war die Herausforderung, mit einer Bewegung, die alle Grenzen der Farben aufhebt.

Im Hamburger Bahnhof aber lassen vor allem die reliefartigen Mosaikbilder aus den letzten Jahrzehnten des Schaffens ihren Charme spielen. In ihnen verbinden sich Malerei und plastisches Arbeiten. Als Jack Whitten mit der Holzschnitzerei begann, beschäftigte er sich intensiv mit afrikanischen Artefakten. Anders als die Expressionisten und Kubisten wollte er jedoch den spirituellen Gehalt der afrikanischen Figuren und Masken ergründen, er wollte, wie er später schrieb, über Picasso hinausgehen. Seine Suche nach dem afrikanischen Spirit übertrug sich in die Malerei.

Whitten wollte mit seiner Kunst etwas verändern

Jack Whitten schnitt Platten aus Acrylfarbe, die ihn an die Stahlplatten seiner Schulzeit erinnerten, in kleine Stücke und setzte damit Mosaike aus purer Farbe zusammen. Diese „Kacheln“ ließ er wie Noten über die Leinwand fliegen. Dabei entstanden Denkmäler für Künstler, die Whitten schätzte. Eines ist Duke Ellington gewidmet. Die Messingtöne der Big Band sind durchbrochen vom gläsernen Klang des Jazz und den dunklen Tiefen des Blues. „The Messenger for Art Blakey“ löst die Schwingungen des Schlagzeugs in eine Milchstraße weißer Punkte auf. Blakeys Band schickt ihre Botschaft wie Lichtwellen ins Universum.

Das Großartige an Jack Whittens Kunst ist die Zuwendung, mit der er Ausgrenzung und Missachtung in Ehre und Aufmerksamkeit verwandelt. Seine Bilder wollen Wunden heilen. In einem Video, das am Eingang der Schau gezeigt wird, hört man ihn sagen, dass er nie unterschieden habe zwischen schwarz und weiß. So stellt er Willem de Kooning ebenso auf den Sockel wie Muhammad Ali, Louise Bourgeois oder Prince. Spürbar wird an dieser Haltung die Überzeugung, dass die Kunst etwas verändern kann im Leben. Schließlich, da war sich Jack Whitten sicher, verhalf sein Bild „Apps for Obama“ dem Präsidenten zu seiner zweiten Amtszeit.

Bis 1. September, Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50 - 51, Mi - So 10 - 18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa/So ab 11 Uhr.

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