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Kultur: Jacke wie Rose

Der Blumenladen, eine „stationäre Performance“ des Fotografen Wolf Klein

Berlin ist keine Großstadt, sondern die Simulation einer Großstadt, die von unzähligen Provinzflüchtlingen nach dem Bild gestaltet wird, das sie von einer Großstadt haben. Diesen Verdacht hegt jeder, der sich in den Wireless-Lan-Kneipen am Prenzlauer Berg und in Friedrichshain aufhält, die Myspace-Ästhetik diverser Clubs erlebt oder den zahllosen Cafégesprächen lauscht, in denen ein früheres Schwäbisch, Sächsisch, Saarländisch oder Eifelplatt den mühsam behaupteten Berliner Dialekt perforiert.

Wie eine ironische Konsequenz aus solchen Überlegungen wirkt das Kunstprojekt, das der 1969 im Saarland geborene Künstler und Fotograf Wolf Klein seit 2002 betreibt. Dabei ist das Sujet, das in seinem Zentrum steht, denkbar harmlos: Es geht um Blumen. Ein beliebter Satz unter jungen Kreativunternehmern lautet ja: „Im Notfall macht man einen Blumenladen auf.“ Das hat Wolf Klein auch getan, doch sein Blumenladen ist ein bisschen anders. Hier gibt es nämlich richtige Blumen nicht zu kaufen, also solche, die sich durch Fotosynthese am Leben halten, sondern Fotografien von Blumen: Circa 3000 kleinformatige, quadratische Fotos von 1000 verschiedenen Blumenköpfen liegen in Kleins Vorrat oder bedecken die Ladenwände. Außerdem gibt es Blumenmodelle – gebastelt aus fotografierten Blättern und Blüten. Gerade das Medium Fotografie, so Klein, mache am liebsten vergessen, dass es ein Medium ist, um sich als Natur auszugeben. Und sein Laden nehme einfach all die Menschen beim Wort, die vor dem Foto einer Rose nicht sagen, dass es sich um das Foto einer Rose handele, sondern bloß: „Das ist eine Rose.“

Bislang war der Laden, den Klein auch „stationäre Performance“ nennt, in einer eher versteckten Straße in Friedrichshain gelegen. Seit letztem Dienstag hat er sich in einem 64 Quadratmeter großen Eckladen im Dom-Aquarée in Mitte angesiedelt, direkt im Schatten des Doms. Ein wahrlich vortrefflicher Ort. Schließlich ist Berlin-Mitte der Stadtteil, bei dem man am stärksten das Gefühl hat, dass er vor allem eines ist: sein eigenes Abbild. Wer hätte noch nie den Eindruck gehabt, dass Museumsinsel, Hackescher Markt und die diversen Mitte-Kneipen ihre eigene Fotografie leben? Wenn dann noch das Stadtschloss wieder aufgebaut ist, wird die Gegend endgültig zur gigantischen Postkarte mutiert sein. Seinen Blumenladen wird Klein dann allerdings wahrscheinlich längst wieder an einem anderen Ort aufgeschlagen haben.

Es geht um Gespensterblumen in einer gespenstischen Gegend. Da stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt um einen echten Laden handelt. Wenn die Fotografie einer Rose so tue, als ob sie eine Rose sei, dann könne ja auch der Blumenladen so tun, als ob er ein Laden sei, erklärt Klein. Und andererseits ist es ja auch fraglich, was ein echter Laden überhaupt sein soll. Gerade im Moment der Enttäuschung darüber, dass es hier gar keine wirklichen Blumen gibt, merkt man nämlich, wie absurd die alltägliche Vorstellung ist, man könne in einen „echten“ Laden gehen und dort „echte“ Natur kaufen. Natur kauft man in keinem Laden der Welt, sondern immer schon medial vermittelte Kultur. Und wer Blumen kauft, erwirbt vorwiegend ein kulturell geprägtes Zeichen – für Liebe, Trauer, Fröhlichkeit oder was auch immer.

Was sind dann allerdings Fotografien von Blumen? Dasselbe Zeichen? Das Zeichen des Zeichens? Als er studiert habe, seien gerade Baudrillards Simulationstheorien wichtig geworden, sagt Klein lachend. Es geht ihm also durchaus darum, herauszufinden, was ein Laden eigentlich ist. Weshalb es auch nicht verwundert, dass den Umzug 18 Studenten des neuen Studiengangs „Angewandte Literaturwissenschaft“ (FU) im Rahmen eines Seminarprojekts organisiert haben.

Das Wichtigste an seinem Projekt, so Klein, sei der Moment der Irritation, der jedes Mal entstehe, wenn jemand Blumen kaufen wolle und dann plötzlich vor Fotos stehe. Dabei scheint gerade die Tatsache, dass das Objekt „Blume“ mit seinem Nettigkeitsfaktor so wenig spektakulär ist, eine enorme Begegnungsvielfalt zu ermöglichen. Zuerst hatte Klein noch überlegt, ob es vielleicht besser sei, etwa eine Fleischerei mit entsprechend drastischen Fotos aufzumachen. Inzwischen denkt er aber, dass die sanfte Alltäglichkeit seiner Blumen das größere Provokationspotenzial birgt: Jeder, der den Laden kennenlerne, rate dem Betreiber als Erstes zu weiteren Ideen.

So lustige Begegnungen – mit Marketingreferenten, Psychoanalytikerinnen bis hin zu Blumendichtern – hat es nun schon gegeben, dass Klein begonnen hat, die besten Geschichten aufzuschreiben. Bisweilen erinnern diese Prosaminiaturen an Elias Canettis Charakterbeschreibungen im „Ohrenzeugen“. Zur Neueröffnung hielt Klein eine Lesung seiner Texte ab, und vielleicht wird es irgendwann auch ein Buch geben. Oder, wer weiß, vielleicht das Foto eines Buchs?

Blumenladen, bis 3. März, St.-Wolfgang-Str. 2, Mitte, Di.–Fr. 15–20 Uhr, So. 14–18 Uhr. Informationen unter: www.karnation.de.

Sebastian Kirsch

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