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Regisseur Jafar Panahi in einer Szene seines Films "Taxi".

© Berlinale/dpa

Jafar Panahi - nicht auf der Berlinale: Wohin soll’s gehen?

Der Iraner Jafar Panahi darf nicht reisen. Aber er fährt im „Taxi“ durch Teheran – und in den Berlinale-Wettbewerb. Das Festival lädt ihn seit Jahren ein, bislang konnte er nie kommen.

Vor fünf Jahren wurde der regimekritische iranische Filmemacher zu sechs Jahren Haft sowie 20 Jahren Berufs- und Reiseverbot verurteilt. Seitdem gleicht jede Einladung Jafar Panahis in eine Jury oder auch jede Besichtigung seines neuesten, trotzdem hergestellten Films einer Demo. Einer Demo für Meinungsfreiheit. Für Kunstfreiheit. Für das, was die Franzosen so schön übergreifend liberté d’expression nennen – das Menschenrecht, sich kreativ und kommunikativ frei auszudrücken.

Das war im Februar 2011 so, als die Berlinale Panahi in die Jury einlud und sein Stuhl notgedrungen leer blieb. Das war ein paar Monate später so, als Cannes das auf einem Stick gespeicherte und in einem Kuchen aus dem Land geschmuggelte Videotagebuch „Dies ist kein Film“ zeigte. Und das war wieder so, als die Berlinale 2013 seinen beklemmenden, in einem Landhaus bei geschlossenen Vorhängen gedrehten „Pardé“ in den Wettbewerb einlud und Panahi dafür den Drehbuchpreis gewann.

Der erste Film nach "Nobody Wants the Night"

Am Freitag hat die Berlinale – nach der „Nobody Wants the Night“-Gala – mit Jafar Panahis „Taxi“ programmatisch den Reigen der verbleibenden 18 Wettbewerbsfilme eröffnet. Und auch hierzu sagte Festivalchef Dieter Kosslick gleich, die Einladung des Films sei Ausdruck eines so hartnäckigen wie „stillen Protests“ gegen die Schikanen, unter denen Panahi leiden muss (die Haftstrafe besteht weiter, sie wurde bisher nur nicht vollzogen). Diese Solidarität ist richtig und notwendig. Zugleich aber begeben sich die Festivals und deren Panahi stets kräftig applaudierenden Gäste in ein Zwielicht, das Iran geschickt auszunutzen sucht. Sollte – so unlängst das staatlich gelenkte Kulturinstitut Aviny – die Zustimmung zu Panahis Filmen womöglich bloß politisch, nicht jedoch ästhetisch zu verstehen sein, ist sein Werk vielleicht „cineastisch schwach“?

„Ich lade Panahi solange ein, bis er kommen kann“, sagt Festivalchef Dieter Kosslick. Dieses Jahr bleibt der Stuhl des iranischen Regisseurs erneut leer.
„Ich lade Panahi solange ein, bis er kommen kann“, sagt Festivalchef Dieter Kosslick. Dieses Jahr bleibt der Stuhl des iranischen Regisseurs erneut leer.

© Hannibal Hanschke/dpa

Diese Sorge der iranischen Offiziellen lässt sich zerstreuen. Panahis Filme sind stark – und das nicht nur im Widerstand gegen die zwangsläufige Reduziertheit ihrer Produktionsbedingungen. Aus der Not, im Verborgenen drehen zu müssen, bezieht auch „Taxi“ eine große Stärke; wobei er diesmal nicht in engen Wohnungen oder Häusern filmt, sondern aus dem Binnenraum eines Taxis heraus. Die andere Stärke aber, und sie schien zuletzt eher in den Hintergrund geraten, ist der Humor. Es ist ein freies Lachen, eines, das aus tiefer Menschlichkeit auf menschliche Schwächen blickt. Welch souveräne Lektion für den Todernst diktatorischer Systeme!

Jafar Panahi fährt durch Teheran

Rund ein Dutzend Fahrgäste befördert der ziemlich nebenberufliche Sammeltaxifahrer Jafar Panahi an einem hellen Tag durch Teheran. Als da sind: ein dumpfer Todesstrafen-Befürworter, dessen Blubber-Argumentation von einer Lehrerin in gelassener Präzision auseinandergenommen wird; ein fliegender Videohändler, der mit dem berühmten Regisseur ein umsatzsteigerndes Joint Venture aufziehen will; zwei abergläubische alte Frauen, die zwecks Abwendung imaginierter Todesgefahren ihre Goldfische einem öffentlichen Wasserlauf zuführen wollen; und dann kommt auch noch ein nach einem Unfall verletzter Mopedfahrer hinzu, der im Krankenhaus alsbald außer Gefahr ist. Seine Ehefrau aber will sein auf Panahis Smartphone gesprochenes Spontantestament – mit dem Alleinerbe für sie – unbedingt aufgehoben wissen, „für alle Fälle“.

Bloß kurios – und teils irrwitzig komisch, wie der Autotransport von Goldfischen im offenen Glas – bleiben diese von schiefen Lebensverhältnissen zeugenden Alltagsszenen allerdings nicht. Bald düstert sich das insofern ein,  als ein Nachbar Panahi von einem brutalen Überfall berichtet, dessen Verursacher er nicht zu denunzieren wagt. Auch eine mutige Anwältin lässt sich von Panahi zu einem „Paradies“ genannten Gefängnis bringen, in dem eine Mandantin gerade vom Hunger- zum Durststreik übergeht. Und ein etwa zehnjähriges Mädchen namens Hana, im Film Panahis Nichte, berichtet von Zensur im Filmunterricht und fragt, eine kleine Kamera in der Hand, den Onkel nach „zeigbaren“ Filmen aus.

Im Iran darf nur reglementierte Realität gezeigt werden

Ja, was ist überhaupt zeigbar? Das ist die Kernfrage. Im Iran offenbar nur eine total reglementierte Realität. Im Ausland dagegen etwa ein Film wie „Taxi“, aufgenommen mit mindestens zwei im Auto montierten Kameras, darunter einer für die Fahrgäste sichtbaren – wobei die Passagiere überwiegend, wenn nicht gar ausschließlich Schauspieler sein dürften (eine Pressekonferenz zur Klärung von derlei Details gab es aus naheliegenden Gründen nicht). Moral der Unmoral: Während die Zensur die Realität durch Verbote arrangiert, ist der verbotene Film selber auf das Arrangieren angewiesen, wenn er iranische Wirklichkeit darstellen will. Brillant, bewegend und mit einer umwerfend schwarzen Pointe.

7.2., 9.30 und 18 Uhr (Friedrichstadtpalast), 12.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele)

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