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Kultur: Jagd auf das Leben

Kienzle Art Foundation zeigt Bilder des früh verstorbenen Josef Kramhöller

Was wäre, wenn Josef Kramhöller länger gelebt hätte? Wenn er seine Selbstzweifel bezwungen und sich nicht mit 31 Jahren das Leben genommen hätte? Vielleicht wäre er ein Star geworden. Die Ausstellung „What a serious horror writing a play – hello man from kebab house“ in der Kienzle Art Foundation zeigt die Palette seiner Möglichkeiten, das große Versprechen dieser überschwänglichen Kunst.

Amelie von Wulffen, Jochen Klein, Andy Hope und Thomas Helbig studierten mit Kramhöller in der Klasse von Hans Baschang an der Akademie der Bildenden Künste in München. Die Kuratorin Franziska Hufnagel kombiniert frühe Arbeiten dieser Künstler und hebt Kramhöller dezent aus der Gruppe hervor. Ein Teil der Exponate stammt aus der Berliner Sammlung von Jochen Kienzle, die in eine Stiftung übergegangen ist. Aber Kramhöller hat auch als Student für wenig Geld an Freunde verkauft. Sie steuern nun Leihgaben bei. Seine erste Einzelausstellung in der damals noch existierenden Galerie Kienzle & Gmeiner vor elf Jahren hat der Künstler nicht mehr erlebt. Seine Schwester verwaltet nun den Nachlass.

„Unser Genie“ hieß Josef Kramhöller in der Akademie. Am Eingang der Ausstellung hängen drei Blätter aus dem Besitz von Franziska Hufnagel, die den verwegenen Auftritt des Künstlers spürbar werden lassen. In leuchtend ockerfarbenem Acryl auf Papier umreißt er mit fliegendem Pinsel eine Landschaft. Stadt und Erde verweben sich zu einer Textur von harten Konturen und weichen Flächen. Daneben hängt eine rote Sichel. Gern hat sich der Bauernsohn aus Bayern auf den Marxismus berufen. Das dritte Blatt in der Reihe zeigt einen Raum, eine Bühne mit Leinwand, ein Kino vielleicht. Die Bühne wird zu Kramhöllers Markenzeichen, sowohl in seinen Bildern als auch in den leibhaftigen Auftritten. Bei der Erinnerung an seine Performances verwenden viele Beobachter allerdings das Wort „peinlich“. Die Aktionen verbanden Schmerz und Schamlosigkeit. Seine Kunst aber entwickelt eine beschwingte Gegenwelt.

Kramhöller, Jahrgang 1968, wächst in Rott am Inn auf. Er reagiert empfindlich auf soziale Hierarchien. Im Katalog zur postumen Ausstellung im Kunstverein Düsseldorf 2004 erinnern sich die Studienfreunde, wie Kramhöller mit Hilfsjobs Geld verdient, um sich und seinen kleinen Sohn zu ernähren. Seine Bilder entstehen in rauschhaften Orgien unter Einsatz des ganzen Körpers. Die leichthändige Schnelligkeit der Striche von Pinsel oder Stift vermittelt eine lebenssüchtige Begeisterung. Der Untergrund ist ruppig und brüchig, die Leinwand geflickt, die Rigipsplatte bröckelt.

Im Gegensatz zu dieser Nachlässigkeit im Umgang mit dem Material steht Josef Kramhöllers Sicherheit als Zeichner. Mehrfach skizziert er den Kopf von Clara Schumann, das Frauenporträt auf dem Hundertmarkschein. Das Blatt wirkt unangestrengt wie eine Fingerübung und zeugt doch von der Last der Geldnot.

Sein Buch nennt der Künstler trotzig „Genuss Luxus Stil“. Die Textsammlung aus den Jahren von 1989-1999 erinnert passagenweise an Georg Büchners „Woyzeck“. Ein Gehäuteter hetzt da alle Höllenhunde auf sein eigenes, unsicheres Ich, immer auf dem Grat zwischen Hellsicht und Wahn. Manchmal leuchtet die Sprache. „Ich bin zu jung, um jeden neuen Monat wieder um geliebte Menschen zu trauern“, schreibt Kramhöller an Amelie von Wulffen, nachdem er vom Tod seiner Zwillingsschwester erfahren hat. Der Künstler lebt zu dieser Zeit in London. Kurz zuvor war Jochen Klein gestorben, Freund aus Münchner Tagen, Lebensgefährte von Wolfgang Tillmans.

In der Ausstellung nimmt die alte Klasse noch einmal ihr Gespräch auf. Die improvisiert wirkende Hängung erzeugt Spannung. Von Jochen Klein sind Stillleben zu sehen, von Thomas Helbig eine revolutionäre Sonne. Das Bild hing in der gemeinsamen Wohnung Helbigs und Kramhöllers. Andy Hope nähert sich in neuen Arbeiten der Durchsichtigkeit der Kommilitonen an. Amelie von Wulffen lässt auf einem Brett Schrauben tanzen.

Aber Franziska Hufnagel inszeniert auch Kramhöllers Schmerz. Sein Gefühl, ausgeschlossen zu sein. Hinter einem mächtigen Raumteiler von Elmar Zimmermann hängt eine Fotoserie: der Daumenabdruck des Künstlers auf den Scheiben teurer Läden. Unerreichbar wirken Schmuck und Markenkleidung. Weil er kein Geld hat, muss er draußen bleiben. Also eignet er sich die Auslage anders an.

Am Ende des atemberaubenden Parforceritts geht Kramhöller die Luft aus. „Air supply“ schreibt er auf zwei Decollagen. Die abgerissenen Poster entstehen 1999. Er leidet an Atemnot, ob real oder eingebildet, weiß niemand. Ein Jahr später begeht er Selbstmord. Seine Bilder aber bersten vor Gier nach Leben.

Kienzle Art Foundation, Bleibtreustr. 54; bis 3.9., Do/ Fr 14 - 19 Uhr, Sa 11 - 16 Uhr

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