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Kultur: Jagen, lieben, küssen, rädern

Das Gasthaus "Zum Könige von Spanien", Handlungsort von Lessings Lustspiel "Minna von Barnhelm", hat sich aller materiellen Schwere entledigt.Von Mauern, von Saal und Zimmern spüret man kaum einen Hauch.

Das Gasthaus "Zum Könige von Spanien", Handlungsort von Lessings Lustspiel "Minna von Barnhelm", hat sich aller materiellen Schwere entledigt.Von Mauern, von Saal und Zimmern spüret man kaum einen Hauch.Auf der Bühne des Staatstheaters Cottbus, das sich zum 90.Geburtstag eine "Wiederaufnahme" seiner Premiere vom 1.November 1908 schenkt, herrscht strahlende Helle.Möbel, Podeste, Kleider ergeben mit durchsichtigen, floral verzierten Plastikbahnen einen Traum von Weiß.Die raumgreifende Drehtür, lichtdurchlässig und doch zum Stolpern verführend, geleitet in eine unbestimmt strahlende Welt hinaus, die unbestimmt bleibt in ihrem strahlenden Licht, bis weit in den Bühnenhintergrund.

Zauberisch tauchen hier die Figuren auf, wie in einem Märchen.Krieg? Elend? Nachkrieg? Lessing konzipierte sein Stück bereits 1763, im letzten Jahr des Siebenjährigen Krieges, und die Geschichte um das sächsische Edelfräulein, das in Berlin seinen preußischen Offizier zu finden hofft, setzt unmittelbar nach Friedensschluß ein.Die Wagnisse dieser Suche hat der Regisseur Christoph Schroth entschlossen ins Zeitlose gebracht.Er läßt eine menschliche Komödie spielen, ihm geht es um Zauber und Teufeleien der Liebe, um Kraft und Anmut körperlichen Begehrens.Er feiert den Mut, mit dem Frauen und Männer zu sich selber finden, er bekennt sich zu Gefühlen, zur Freiheit, die sich das Individuum erstreitet.Dabei läßt es der Regisseur heiß zugehen, und aus der Hitze kommt, bewußt und berechnet, die parodistische Entladung, das boulevardeske "Hinüberspielen" zum begeisterten Publikum.

Also spricht der Falsch- und Glücksspieler Riccaut de la Marlinière (Matthias Wien) nicht französisch, sondern radebrecht russisch - und hat seinen Sonderbeifall.Wachtmeister Werner (Nils Brück), in pechschwarzes Plastik-Leder gehüllt, wird zum Berserker, der unverschämt erotisch mit seinen Geldbeuteln hantiert - ein Nußknacker mit Seele.Da darf dann auch der Wirt (Thomas Harms) nicht nachstehen: Aus dem Polizeispitzel wird ein schwarzbefrackter Beau, halb Empfangschef, halb Entertainer.Und Just (Harda Halama), der ein bißchen Angestaubte, darf sich genußvoll als der treue, herzensgute Diener präsentieren.Putzige Leute, fürwahr, aber ohne sie ginge die Geschichte nicht, so wie sie in Cottbus erzählt wird.Minna, das Fräulein, und Tellheim, der Offizier, müssen mit ihrer Liebe durch alle Tollheiten hindurch, die ihnen Zeit, Umstände, Mitmenschen liefern.Es sind freilich, darauf besteht die Aufführung, überwindbare Absonderlichkeiten.Krieg hin oder her - die Herstellung tragfähiger Beziehungen ist das Kunststück menschlicher Existenz geblieben.Deshalb auch mag das kluge Mädchen Franziska am Ende doch wieder mit dem herzallerliebsten Wachtmeister in einen neuen Krieg ziehen.Heiteres Ende oder doch auch Hohn?

Um diese Frage geht es in Cottbus nicht.Aber Minna (Katka Kurze) und Franziska (Corinna Breite) dürfen sich, endlich, als begehrenswerte Frauen zeigen, die ihre körperliche Anziehungskraft auch noch sportlich zu stählen wissen.Sie sind sinnlich, und sie zieren sich nicht.Entsetzte und entzückte Schreie, Umarmungen und Balgereien, Niederbrechen auf den blanken Boden, heftige Küsse - es knistert in diesem Liebeskampf, der auch, bei Minna, das Spiel der Verstellung kennt, aber nirgends zur Tändelei verkommt.Da hat Marco Bahr als Tellheim einige Mühe, Turm in der Schlacht zu bleiben.Erst in äußerster Gefährdung läßt er das Temperament frei, dreht sich vor Glück wie ein Kreisel, fällt vernichtet auf einen Stuhl, als er alles verloren glaubt.Ein Preuße, aus dem, vielleicht, noch etwas werden kann.

VON UWE FRIEDRICH

Am folgenden Tag gab es dann eine veritable Uraufführung zu bestaunen: "Quasimodos Hochzeit" von Rainer Böhm nach einem Libretto von Gerhard Kelling.Erst ist da eine Horde gut gelaunter Clowns, die den Besuchern zujubelt.Und ein Conférencier verspricht ihnen die ganze erschröckliche Geschichte von Esmeralda, Quasimodo und Frollo.Dann tauchen die Protagonisten auf, mit viel Schaumstoff geschickt zu Comicversionen des berühmten Films ausstaffiert.Matthias Bleidorn humpelt genauso virtuos wie Charles Laughton, auch Gesine Forberger orientiert sich am Filmvorbild.Offenbar will der Regisseur Martin Schüler den ironischen Kommentar zur Geschichte.Aber hält sich - leider - selbst nicht daran.

Wer eine Vollblutoper schreiben will, tut gut daran, sich ein Schauermärchen zur Vorlage zu wählen.Da kommt es allemal eher auf die Übermacht der Gefühle an als auf logische Stringenz.So gesehen, haben Böhm und Kelling mit Victor Hugos "Glöckner von Notre Dame" die richtige Wahl getroffen.Auch Librettist und Komponist sind sich der übermächtigen Konkurrenz bewußt, daher die Rahmenhandlung: Seht her, wir zeigen euch eine alte Geschichte.Allerdings entscheiden sich die Autoren nicht recht, was sie zeigen wollen.Zum Lehrstück eignet sich das Sujet nicht, hochemotionale Oper trauen die beiden sich nicht.Schon die Einrichtung des Stoffs hat dramaturgische Schwächen.Motor der Handlung ist eine geheimnisvolle Alte, die ihre Tochter rächen will und zu spät erkennt, daß sie mit Esmeralda die eigene Tochter an den Galgen bringt.In Kellings Libretto kommt sie allerdings kaum vor.Nur wenige Zeilen sind ihr gegönnt, in denen ihr übergroßer Haß nicht deutlich wird.

Entsprechend blutleer fällt Böhms Musik aus.Wild gezackte Gesangslinien künden von seiner Angst vor jeder Melodie, der lehrstückhafte Ton hält den Zuschauer immer auf Distanz und macht eine Identifikation auch mit den Leidenden dieser Oper unmöglich.Ob immergeiler Priester, rachsüchtige Mutter oder liebender Glöckner - alle Handelnden drücken sich im selben Tonfall aus.Ob gerade von Haß, Liebe oder auch nur Nachdenklichkeit die Rede ist, erschließt sich nur durch den Text.Dazu intoniert ein schlagzeugverstärktes, aber rhythmisch anspruchsloses Orchester entweder übermäßige oder verminderte Akkorde, hier mal ein Cluster, dort eine Perkussionspassage.Schon das Vorspiel legt einen Vergleich mit Alban Bergs "Lulu" nahe, und über weite Strecken wirkt die Komposition wie eine schwache Kopie der Zweiten Wiener Schule.Emotional will diese Musik nicht sein - und ist doch für eine intellektuelle Herausforderung zu schlicht.Immerhin, der Dirigent Reinhard Petersen läßt sein Orchester so schön wie möglich spielen und führt sein gut singendes Ensemble sicher durch die Partitur.

Martin Schüler und seine Ausstatterin Gundula Martin mühen sich nach Kräften, dem Werk szenisch auf die Beine zu helfen.Auf der bis zu den Brandmauern leeren Bühne steht ein Bretterpodium, Vorhänge teilen die Handlungsräume ab, die Requisiten sind schon zu Beginn offen zu sehen.Notre Dame ist reduziert auf einen Stahlgitterturm mit angedeuteten Bögen.Hier wird nun gejagt, geliebt, gerädert, was das Zeug hält.Das gelingt Schüler in der Regel eindrucksvoll, wenn auch nicht immer logisch.Besonders der gut aufgelegte Clowns-Chor ist nicht stringent eingesetzt.Mal kommentiert er, mal greift er in die Handlung ein, doch die Gründe dafür werden nicht klar.Am Ende singt Quasimodo eine Liebes- und Totenklage für Esmeralda, die gespenstisch beleuchtet am Galgen baumelt.Ein anrührendes Bild; aber auch hierfür fehlen dem Komponisten die Töne.

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