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Kultur: Jahrmarkt

Cameron Carpenter an der Orgel der Philharmonie.

Ein Faszinosum klassischer Musik besteht darin, dass hier Menschen (in der Regel) völlig ohne elektronische Unterstützung Musik machen und damit trotzdem auch die hintersten Saalreihen erreichen. Kommt einmal die Technik ins Spiel – ist sie prompt kaputt. Zumindest am Dienstag in der Philharmonie: Cameron Carpenter eröffnet die Reihe „Orgel“, doch auf aufwendige Stücke wie „The Lark Ascending“ von Ralph Vaughan Williams oder „La Valse“ von Maurice Ravel muss er verzichten. Weil vergangene Woche die Software gestreikt hat. (Ja, die Karl-Schuke-Orgel ist ein Hochleistungscomputer!) und deshalb zu wenig Probenzeit verblieb. Ärgerlich.

Carpenters eigene Technik funktioniert immerhin bestens. Stupend, wie der mit extravaganten Glitzerauftritten bekannt gewordene Amerikaner mit allen vier Gliedmaßen sein Instrument bedient und ihm die unerhörtesten Klangfarben entlockt, wie die Orgel pfeift, quäkt, grummelt, scheppert, wummert, grölt, trötet. Seltsam nur der Gegensatz zwischen dem Showcharakter des Abends mit freier Platzwahl in der Philharmonie und dem heiligen Ernst Carpenters, dem kaum je ein Lächeln übers Gesicht huscht. Überhaupt scheint seine Liberace-Phase vorbei, zurückhaltend tritt er im dunklen Schlangenleder-Anzug auf, keine Spur von Strass. Später immerhin: ein eindeutig homoerotisch konnotiertes Muscleshirt und Stiefel, in denen er wie auf Stöckeln daherstakst. Als er das Konzert plötzlich mit den Worten unterbricht „Entschuldigen Sie, ich muss mal etwas essen“, ist nicht diese Ansage selbst das Erstaunliche, sondern, dass das Publikum daraufhin begeistert klatscht.

Carpenter hat über 100 Werke für Orgel transkribiert, in der Philharmonie spielt er unter anderem Mozarts sechste Klaviersonate, den dritten Satz von Tschaikowskys „Pathétique“ oder Skrjabins vierte Klaviersonate. Den Stücken bekommt das aber nicht wirklich, sie wirken auf der Orgel streckenweise zerfleddert, dünn, auch billig – als sei’s eine Spielorgel in der Jahrmarktbude, die da erklingt. Bei aller Brillanz, mit der diese Stücke umgeschrieben sind, muss man sich doch fragen: Will man das wirklich hören? Nicht ohne Grund entfaltet Carpenters donnernde Interpretation von Bachs Präludium und Fuge in e-Moll BWV 548, ein genuin für Orgel geschriebenes Stück, die größte Wirkung. Udo Badelt

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