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Spezialist fürs Dunkle. Der Thriller-Autor James Ellroy.

© imago/Agencia EFE

James Ellroy zum 70. Geburtstag: Besessen steht ihm gut

Chronisches Fieber: Zum 70. Geburtstag des US-amerikanischen Schriftstellers James Ellroy.

Ein Fluch liegt über dem Leben des amerikanischen Schriftstellers James Ellroy. Als „Hilliker-Fluch“ hat er diesen vor ein paar Jahren in seiner gleichnamigen Autobiografie bezeichnet, Hilliker war der Geburtsname seiner Mutter. Gerade einmal zehn Jahre alt ist er, da wünscht der kleine, damals noch Lee Earle heißende Ellroy seiner Mutter Jean den Tod, nach einem Streit darüber, dass er lieber bei seinem Vater als bei ihr leben wolle. Die Eltern sind schon lange getrennt. Drei Monate später wird sie Opfer eines brutalen Sexualmordes, der nie aufgeklärt wurde.

„Jean Hilliker ließ sich mit Bourbon volllaufen und drehte Brahms-Konzerte auf Maximallautstärke hoch. Armand Hilliker hatte Skandalblätter und Tittenmagazine abonniert. Ich durfte zwei Tage in der Woche bei ihm sein“ – so hat James Ellroy die Verhältnisse zu Hause und damit seine Kindheit beschrieben. Nach dem Mord an der Mutter führte ihn das lange ersehnte Leben beim Vater ziemlich schnell in weitere Abgründe – zu Alkohol, Drogen, Psychosen, Kleinkriminalität und einem Leben auf der Straße. Aus diesen Abgründen konnte er sich erst im Alter von knapp dreißig Jahren befreien, mit dem Schreiben seines Debütromans „Browns Grabgesang“ über einen nebenher als Privatdetektiv tätigen Repo-Man.

Seine Bestimmung hatte er gefunden. Der Fluch aber blieb – und trieb ihn gleichzeitig an. „Besessenheit steht mir gut. Die Liebe zur Sprache definiert mich“, hat er einmal bekannt. Und so kultivierte James Ellroy fortan seine Obsessionen: Einmal die, in jeder Frau, die ihm fortan begegnen sollte, seine Mutter zu suchen und zu sehen; mit dem Roman „In my dark places“ (auf deutsch „Die Rothaarige) hat er zumindest so getan, als würde er diese Obsession überwinden wollen und den Mordfall an seiner Mutter noch einmal genau untersuchen.

Er suchte in jeder Frau seine Mutter

Seine andere Obsession ist die jüngere Geschichte der USA. Die zeichnet er seit seinem ersten, 1987 veröffentlichten Erfolgsroman „Die schwarze Dahlie“ nach, im speziellen die seiner Heimatstadt Los Angeles, um hinter der offiziellen Geschichte deren verborgene Seiten ans Licht zu befördern: die Gier nach Geld und Sex, die Gewalttätigkeit in allen Schichten der Gesellschaft, die Abwesenheit jedweder Form von Moral.

Unter Roman-Trilogien und Tetralogien macht Ellroy es seitdem nicht mehr. Von Ende der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre schrieb er das sogenannte L.A. Quartett, vier Romane über das Los Angeles von 1946 bis 1958, darunter die von Curtis Hanson und Brian de Palma verfilmten Teile „L.A. Confidental“ und eben „Die Schwarze Dahlie“. Darin steht, natürlich kein Zufall, der reale, nie aufgeklärte Mordfall an der jungen Elizabeth Short im Zentrum des Geschehens. Nicht weniger ausufernd geriet ihm seine „Amerikanische Trilogie“, die den Zeitraum und die herausragenden politischen Ereignisse von 1958 bis 1972 behandelt. Unter anderem sucht diese Trilogie den Kennedy-Mord und die Watergate-Affäre in ein neues, verschwörungstheoretisches Licht zu tauchen.

Sein Markenzeichen: die temporeiche Sprache

Was seine Romane auszeichnet, sie heraushebt aus dem Thriller-Einerlei: ihre Sprache, ihr Stil. Ellroys Prosa besteht aus einem Satz-Stakkato, das oft von Aufzählungen und Substantivaneinanderreihungen dominiert wird. Hauptsache Tempo, Hauptsache ständige Seiten- und Szenenwechsel, Hauptsache Nebensätze eliminieren.

Ellroy hat diesen Stil zunehmend perfektioniert, was sich nicht immer zum Vorteil der Verständlichkeit seiner Romane auswirkt; mitunter ist es enorm schwer, die Handlungsfäden zu entwirren, überhaupt irgendeiner Handlung zu folgen. Was Ellroy nicht anficht, zuweilen bezeichnet der Beethoven-Fan (wie das schon in „Brown´s Grabgesang“ zu verfolgen ist), sich wegen seiner sprachlichen Besonderheiten gern selbst als Beethoven des Krimi- und Thriller-Genres, diesem in jedem Fall lange entwachsen.

„Damals war ich wie im Fieber. Und im Fieber bin ich heute noch.“, sagt irgendjemand zu Beginn seines letzten, 2014 veröffentlichten Romans „Perfidia“. Dieser, knapp tausend Seiten lang, bildet den Auftakt zu einem zweiten „L.A. Quartett“ (der zweite Teil, „This Storm“ erscheint in den USA im September) und erzählt zunächst von der Zeit des Angriffs der Japaner auf Pearl Harbour und wie dieser sich auf das gesellschaftliche Klima in Los Angeles auswirkt.

„Solange ich mir die Geschichte weiterspinnen kann“, so gesteht der fiebrige Mensch weiter, „halte ich mir den Tod vom Leibe. Ich enteile ins Damals, um mir weitere Augenblicke im Heute zu erkaufen.“ Mit diesem Satz könnte er sich auch selbst gemeint haben – an diesem Sonntag feiert James Ellroy seinen 70. Geburtstag.

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