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Traumpaar. Die Musiker Chilly Gonzales und Jarvis Cocker.

© Alexandre Isard/DG

Jarvis Cocker und Chilly Gonzales: Lobgesang auf den Zimmerservice

Fragile Motorik, wohltönender Flüsterbariton und die Erlebnisse eines Zimmers: Jarvis Cocker und Chilly Gonzales in der Volksbühne.

Von Jörg Wunder

Die kalifornische Sonne scheint grell ins Hotelzimmer, von irgendwoher plärrt aufdringlich laut Musik. Der empfindliche Gast zieht die Vorhänge zu, findet nach einigem Suchen – im Badezimmer! – die Beschallungsanlage, der er sofort den Stecker zieht. So könnte es gewesen sein, als Jarvis Cocker vor einigen Jahren im legendären Showbiz-Hotel Chateau Marmont in Los Angeles eincheckte, um sich von den Strapazen einer Tournee zu erholen. Im Zimmer fand er ein Piano vor, was ihn zu einem Liedzyklus über das Dasein in Hotelzimmern inspirierte. Für die musikalische Umsetzung – Cocker ist des Klavierspielens nicht mächtig – brauchte es einen Partner. Auftritt Chilly Gonzales, der nicht nur als vielseitiger Tasten-Entertainer gerühmt wird, sondern während seiner ersten Jahre in Berlin Aushilfspianist in einem Nobelhotel war.

Das so entstandene Album „Room 29“ ist kürzlich erschienen, wobei ein Tonträger den spröden Reiz dieser meist in Rezitativform zu sparsamer Klavierbegleitung vorgetragenen Lieder kaum vermitteln kann. Viel besser funktioniert dies am ersten von drei ausverkauften Abenden in der Volksbühne, denn natürlich möchte man diese beiden nicht nur hören, sondern auch sehen: Da ist Gonzales, stilvoll im nachtblauen Bademantel und mit Showman-Gestik, aber stets dezentem Anschlag. Und Jarvis Cocker, Prototyp des nerdigen Pop-Dandys, spindeldürr, mit zerstrubbeltem Haupthaar und riesiger Hornbrille. Im Grunde zehrt der 53-Jährige immer noch vom Ruhm seiner Band Pulp, der ihn Mitte der 90er zum angesagtesten Britpop-Star neben den Gallaghers und Damon Albarn machte. Andererseits könnte es kaum einen bescheideneren Entertainer geben als Cocker, der mit fragiler Motorik und rührender darstellerischer Limitiertheit auf der mit Doppelbett, Lesesessel, Lampe zum fiktiven Hotelzimmer möblierten Bühne herumstakst und mit seinem wohltönenden Flüsterbariton die Stücke über das ominöse Zimmer 29 intoniert.

Tänzerin mit blütenkelchartiger Anmut

Auch wenn es dramaturgische Verdichtungen geben dürfte, hat das Zimmer im Laufe der Jahrzehnte einiges erlebt, was nun in Ton und Bild umgesetzt wird. Auf einer Leinwand werden Videos gezeigt, die die Texte illustrieren. So war das Piano wohl ein Geschenk von Mark Twains Tochter Clara, die kurz nach dem Tod ihres Mannes, eines Konzertpianisten, eine Zeit lang im Marmont logierte. 1932 verbrachte der Filmproduzent Paul Bern im Zimmer 29 seine Hochzeitsnacht. Er hatte sich die begehrteste Schauspielerin seiner Zeit geangelt: Jean Harlow. Wenige Monate später brachte sich Bern um. In „Bombshell“ findet Cocker einfühlsame Zeilen für einen Mann, der vom gefühlten Zwang zum absoluten Glück überfordert ist. Deutlich derber bringt es Gonzales auf den Punkt: „Er hatte einen Schwanzfehler. Das Lied ist in f-Moll.“

Im Verlauf des knapp zweistündigen Programms kommt für einige Songs das Kaiser Quartett hinzu, das Gonzales’ Spiel bereits auf dessen letzter Platte kammermusikalisch abgefedert hatte. Eine Tänzerin wirbelt mit blütenkelchartiger Anmut herum, die Wonnen des 24-Stunden-Zimmerservice werden besungen. Schließlich gibt es einen am obligaten Zimmer-TV aufgehängten medientheoretischen Exkurs, der in die Thesen mündet, der Fernseher habe die überlebensgroßen Träume des Kinos geschrumpft und die alte Rockstar-Marotte, Fernseher aus Hotelfenstern zu werfen, sei ein früher Akt der Rebellion dagegen gewesen.

Als alle Stücke gespielt sind, das Publikum aber mit standing ovations noch eine Zugabe ertrotzt, sollen sich die Fans einen Song mit Hotelbezug wünschen. Das von Gonzales angeteaserte „Hotel California“ wird nicht erkannt, also interpretieren sie Leonard Cohens „Paper Thin Hotel“, in dem der alte Schwerenöter vom Liebesstöhnen hinter papierdünnen Wänden fabulierte. Diese Hommage im vollgültigen Croonermodus gerät so majestätisch, dass man sich für künftige Projekte mehr davon wünschen würde: Jarvis und Chilly spielen Elvis’ „Heartbreak Hotel“, „Memory Hotel“ von den Stones, „Blue Hotel“ von Chris Isaak, vielleicht sogar etwas von Tokio Hotel. Also, nehmt euch ein Zimmer, ihr zwei!

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