zum Hauptinhalt
Im Olymp. Jasper Johns im Jahr 1994 im Ostflügel der National Gallery in Washington. Seine Werke zählen längst zum Kanon der US-Kunst.

© Pladeck/dpa

Jasper Johns wird 90: Einer der Granden der Pop-art

Zwischen Massenkultur und hoher Kunst: Kaum ein Maler prägte die Kunst im 20. Jahrhundert wie Jasper Johns. Heute feiert er seinen 90. Geburtstag.

Es begann mit der Fahne der Vereinigten Staaten. Von ihr, erzählte Jasper Johns später, habe er in der Nacht zuvor geträumt, als er sich daransetzte, ein Bild zu malen. Er malte die Fahne, und so nannte er das fertige Gemälde: „Flag“. 1954/55 war das; Johns verdiente damals seinen Lebensunterhalt als Schaufensterdekorateur – gemeinsam übrigens mit dem befreundeten Robert Rauschenberg.

Wenig später schaute ein bedeutender Galerist bei dem jungen Autodidakten vorbei, war begeistert und verschaffte Johns mit seinen Bildern von Fahnen, Zahlen und Zielscheiben 1958 die erste Einzelausstellung – und den Durchbruch.

Alfred Barr, der legendäre Gründungsdirektor des Museum of Modern Art, traut sich mit Rücksicht auf konservative Museums-Trustees zwar nicht, das Fahnen-Bild zu erwerben, kauft aber gleich vier andere Arbeiten.

Fortan galt Johns, 1930 in Augusta im Bundesstaat Georgia geboren und nach dem Armeedienst in New York ansässig, als ein Protagonist der im Entstehen begriffenen Pop-art. 1964 begründeten Ausstellungen auf der Kunstbiennale in Venedig und bei der Documenta III in Kassel seinen internationalen Ruhm.

[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Johns wird lange Zeit als einer der vier Granden der Pop-art wahrgenommen, gemeinsam mit Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Rauschenberg. Grund dafür ist Johns’ Beschäftigung mit trivialen, massenhaft verbreiteten Images, wie eben der Flagge oder der Landkarte der USA.

Es geht ihm nicht um diese Sujets; gar die Konsumkritik eines Warhol ist ihm fremd. Er malt, was er sieht, und bleibt dabei; wobei die US-Flagge für sich schon eine starke visuelle Präsenz hat, von ihrer Allgegenwart im amerikanischen Alltag ganz abgesehen.

Er malt in seinen frühen Jahren vorwiegend in der eher zufällig für sich entdeckten Technik der Enkaustik, der Wachsmalerei, die den Gemälden einen haptischen Charakter verleiht – das glatte Gegenteil von Warhols serieller Siebdruck-Fertigung.

Flagge zeigen. "The Flag" von Jasper Johns wurde 2010 für über 25 Millionen Dollar versteigert.
Flagge zeigen. "The Flag" von Jasper Johns wurde 2010 für über 25 Millionen Dollar versteigert.

© Christie's Handout Image

Daneben entstehen Skulpturen, die er – wie die Bronze zweier Bierdosen – bisweilen scheinrealistisch bemalt. Tatsächlich aber sind solche Pop-Werke schon damals und erst recht in seinem Lebenswerk in der deutlichen Minderzahl.

Johns übermalt und verwischt seine mehr und mehr gestisch-bewegten Leinwände. Deren Herkunft aus dem New Yorker Abstrakten Expressionismus der frühen 1950er Jahre, den Johns als junger Mann aus der Nähe erlebt hatte, wird deutlich.

Die später anschließende Reihe der gegenstandslosen, geometrischen Bilder mit diagonalen Farbstrichen nimmt die Kunstwelt eher verständnislos hin. Als Johns aber anfängt, traditionelle „Jahreszeiten“-Zyklen zu malen, in denen er seine Silhouette als Schatten und memento mori auftauchen lässt, wird er zunächst heftig kritisiert.

Erst der Goldene Löwe der Biennale von Venedig im Jahr 1988 für den ausschließlich mit seinen Werken der jüngeren Zeit bestrittenen Pavillon der USA wird als Ritterschlag zum Klassiker verstanden, jenseits von Pop.

Ein Veränderer und Weiterentwickler

„Jasper Johns ist ein Meister“, erklärte daraufhin der Kritiker der „New York Times“ und nannte ihn einen „Künstler der Synthese“: „Sein Werk ist eine Brücke zwischen Amerika und Europa, zwischen Pop Art und Abstract Expressionism, zwischen Massenkultur und höchstem künstlerischen Streben.“ Das kann man auch ein Dritteljahrhundert später so stehen lassen. Die große Retrospektive im MoMA von 1996 – anschließend in Köln, das noch von seinem Ruf als Kunstmetropole zehrte – befestigte diesen Status.

Das Verblassen der Pop-art ließ mehr und mehr erkennen, dass Johns eben kein Umstürzler, sondern ein Veränderer und Weiterentwickler ist, ein artist’s artist eher als ein massentauglicher Kaufhauskünstler.

Johns’ Kunst wurzelt in der amerikanischen Kultur der Nachkriegszeit, als der angehende Künstler mit John Cage und Merce Cunningham Freundschaft schloss. Dadurch ist eine zumindest geistige Verbindung zu den kulturellen Bestrebungen im Umkreis des legendären Black Mountain College gegeben. Die „eigentliche“ Pop-art speiste sich aus anderen Quellen.

Die malerische Qualität seiner Gemälde wird heute besonders geschätzt, der gegenüber die Sujets doch eher als zufällig gelten. Allerdings zählen die Flaggen-Bilder zu den Spitzenstücken des stets sehr patriotischen amerikanischen Kunstmarktes, zumal eines davon für einen dreistelligen Dollar-Millionenbetrag den Besitzer wechselte.

Jasper Johns, der einzige Überlebende des Pop-Quartetts, feiert heute seinen 90. Geburtstag als einer der Großen der amerikanischen Kunst in ihrem ureigenen, dem 20. Jahrhundert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false