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Feingliedrige Improvisationskunst. Das Kathrin Pechlof Trio mit Robert Kandfermann am Bass und Christian Weidner am Altsaxogon bei einer Kollektiv Night 2018 im Kreuzberger Tiyatrom.

© Detlev Schilke / Ullstein

Jazz in Berlin: „Streaming ist diabolisch“

Was kommt nach dem Lockdown? Die Sängerin Jacobien Vlasman und Harfenistin Kathrin Pechlof über die Zukunft der Jazzstadt Berlin.

Von Gregor Dotzauer

Die Lage ist vielgestaltig – und für alle Beteiligten unverändert desaströs. Nach dem Corona-Lockdown im Frühjahr haben einige Berliner Jazzclubs wie der Schlot oder das ZigZag mit starken Einschränkungen wieder geöffnet. Andere wie das A-Trane machen mit reinen Streamingprogrammen weiter, das Donau115 oder das Sowieso bleiben geschlossen. Dem Quasimodo hat das Virus offenbar den Todesstoß versetzt. Betreiber wie Musiker und Musikerinnen hangeln sich von einer Überbrückungsmaßnahme zur nächsten. Ein Gespräch mit der Sängerin Jacobien Vlasman und der Harfenistin Kathrin Pechlof über Gegenwart und Zukunft von Europas lebendigster Stadt für improvisierte Musik.

Quer durch alle Kulturbereiche hat man sich aufs Streamen verlegt. Welche Erfahrungen haben Sie mit Geisterveranstaltungen im Jazz gemacht?

JACOBIEN VLASMAN: Es ist seelenlos. Ich habe meist nach anderthalb Songs weggeschaltet. Das liegt am schlechten Sound, daran, dass ich nicht selber entscheiden kann, wo ich gerade hingucke, oder am fehlenden Publikum.

KATHRIN PECHLOF: Das spirituelle Erlebnis eines Konzertes ist durch nichts zu ersetzen. Streaming ist aber auch aus anderen Gründen diabolisch. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit verführt viele Musiker*innen dazu, permanent zu senden, möglichst in High Quality, was sich wegen der Produktionskosten aber natürlich nicht monetarisieren lässt. Das generiert Aufmerksamkeit im digitalen Raum, gleichzeitig wird in der Masse alles seltsam bedeutungslos. Ich fürchte, die Umsonst-Rein-und-Rausklick-Kultur ist kaum aufzuhalten. Die Coronakrise verschärft da nur ein bestehendes Problem.

VLASMAN: Man muss nicht jeden Furz ins Netz stellen. Daher habe ich mich dem Livestreaming verweigert. Das habe ich aber schon vor Corona so gesehen.

PECHLOF: Gerade geht es aber auch um Gemeinsamkeit und Solidarität. Zu Beginn des Lockdowns startete die Konzertreihe „Into the Shed“, mit minimalem Aufwand gefilmt und schraddeligem Sound, gegen Spenden live. Hingebungsvoll organisiert von dem Berliner Gitarristen Ronny Graupe, hat sich nach und nach die Berliner Jazzszene die Klinke in die Hand gegeben. Interessanterweise waren da ähnlich viele Leute wie bei einem normalen Berliner Door Deal Gig, nur eben überregional und aus dem Ausland. Inzwischen gibt es zum Fixpreis von 15 Euro einen Link zum Echtzeit-Stream.

Unter Veranstaltern aller Musikbereiche wird mit harten Bandagen gekämpft. Hat Corona mehr Solidarisierung oder mehr Entsolidarisierung bewirkt?

PECHLOF: Wenn alle verlieren wie jetzt, bleibt uns nicht viel mehr zu teilen als der Schmerz über die Situation und die Sorge um die Zukunft. Gerade in meiner kulturpolitischen Arbeit habe ich auf allen Ebenen viel Solidarität und Kooperation erlebt, unter Musiker*innen Solidarisierung im Sinne einer Politisierung allerdings nur punktuell wahrgenommen. Das hat mich erstaunt, weil jetzt doch langjährige Missstände existenziell spürbar werden. Entweder sind Musiker*innen doch ein wenig weltfremd oder so sehr mit Überleben und Kinderbetreuung beschäftigt, dass da nicht viel anderes geht.

In Amsterdam geboren, in Deutschland aufgewachsen: Jacobien Vlasman.
In Amsterdam geboren, in Deutschland aufgewachsen: Jacobien Vlasman.

© promo

Wer leidet in der Krise am meisten?

PECHLOF: Die Jazzclubs leiden daran, dass sie Wirtschaftsbetriebe sind und keine öffentlich geförderten Institutionen und sich immer nur mit Mühen getragen haben. Künstler*innen leiden an ihren grundsätzlich prekären Arbeitsrealitäten, die sie jetzt teilweise in den finanziellen Abgrund fallen lassen. Die Institutionen leiden an Einnahmeausfällen. Auch das Publikum leidet. Am Schluss fragt sich, wer und was übrig bleibt und wie divers unsere Kulturlandschaft in einigen Jahren noch sein wird. Da sind die Bruchstellen vorauszusehen, weil die Mittel zum Weitermachen so ungleich verteilt sind.

Wie müsste man sie denn verteilen?

PECHLOF: Dringend notwendig für die freie Szene sind Basisförderungen für Ensembles und individuell für Musiker*innen, mehrjährige Förderung von Reihen und Spielstätten, damit die auch angemessene Honorare bezahlen können, flexibles Zuwendungsrecht. Solche Strukturen sind krisenresilienter – das machen die aktuellen Erfahrungen überdeutlich.

VLASMAN: Jazzclubs haben momentan denselben Status wie Schankwirtschaften, wo nebenher Musik läuft. Um sie fördern zu können, müssen sie den Status einer Kultureinrichtung (was sie ja sind) bekommen. Da ist man jetzt dran.

Würden Sie sich eine Verpflanzung gefallen lassen, wenn also das Donau115 für eine Weile in die Philharmonie umzieht oder den Joseph-Joachim-Saal der UdK in der Bundesallee?

PECHLOF: Ich würde mich über einen solchen Ausdruck von Solidarität freuen. Solche Verpflanzungen und ein gegenseitiges Entdecken können nur fruchtbar sein – für alle Seiten.

Liegt die Zukunft also eher in gut belüfteten Konzertsälen als in höhlenartigen Clubs?

VLASMAN: Nichts gegen eine gute Klimaanlage, aber wenn man allen Jazz in Konzertsäle verpflanzt, verstärkt sich genau das Image des Intellektuellen, Elitären und schwer Verständlichen, das dem Jazz ohnehin anhängt. Zum weiten Begriff des Jazz gehören die Nähe, das Persönliche und die Kommunikation mit dem Publikum. All das ist in einem Konzertsaal oft nicht möglich.

PECHLOF: Der Jazz wird nicht auf die Atmosphäre der Off-Orte verzichten können. Zugleich haben sich viele Ausformungen der improvisierten Musik in Richtung konzertanter Kunstmusik entwickelt, die besser in den Konzertsaal passen.

Bloßer Trotz nach dem Motto „Wir wollen jetzt aber auch“ bringt in der gegenwärtigen Situation wenig. Was braucht es am meisten?

VLASMAN: Durchhaltevermögen und eine andere Politik. Die Clublandschaft sollte als ein wichtiger Wirtschaftszweig und ein wichtiges Stück Kultur, was verloren zu gehen droht, angesehen werden.

PECHLOF: Durchhaltevermögen und Kreativität. Konzerte auch mit wenig Publikum und an ungewöhnlichen Orten. Dazu politischen Support, damit sich niemand finanziell ruiniert oder gleich das Ordnungsamt am Hals hat.

Was halten Sie von Hybridveranstaltungen mit Premiumkarten vor Ort und billigeren vor dem Computerbildschirm?

PECHLOF: Aus der Not geboren, halte ich das für eine gute Idee. Alles ist wert, einmal ausprobiert zu werden.

VLASMAN: Gut, aber es könnte eine Zwei-Klassen-Gesellschaft schaffen, wenn die Premiumkarten so teuer werden, dass sie sich nur noch Besserverdiener leisten können.

War der Lockdown für Musiker eine Gelegenheit zur Besinnung?

PECHLOF: Für mich persönlich überhaupt nicht. Mit einer fünfjährigen Tochter, die wir zu zweit betreut haben, viel situationsbedingt kulturpolitischer Arbeit und weiterlaufender musikalischer Arbeit bin ich oft an der Grenze meiner Kräfte gekommen. Dabei fand ich die Einschränkungen sogar moderat und war enttäuscht, dass so schnell Hedonismus und Konsumfragen in den Vordergrund rückten. Der kurze Stillstand löste bei manchen Menschen offenbar eine fast bedrohliche Leere aus.

VLASMAN: Es war eine erzwungene Zeit der Besinnung, wofür man ein finanzielles Polster braucht, das der Großteil der Musiker*innen nicht hat. Das bringt dann eher eine Kreativblockade mit sich. Abgesehen davon leben Musiker*innen meist von der Kommunikation mit und vor anderen. Diese nicht zu haben, fühlt sich an wie Hunger oder Durst.

Viele kulturelle Einrichtungen sind Vereine – oder haben Fördervereine. Sehen Sie darin eine Chance?

VLASMAN: Vereine können viel einfacher Spenden annehmen. Es darf aber nicht sein, dass alle Verantwortung für die Kultur in den Privatbereich abgeschoben wird. Wenn es nur noch Vereine gibt, dann könnte es ein Leichtes sein für die Politik, sich darum nicht weiter zu scheren.

PECHLOF: Durch Vereine gibt es viele wunderbare kleine und mittlere Spielstätten mit individuellem Profil. Ich hoffe inständig, dass nicht genau sie dem Rotstift der Kommunen zum Opfer fallen werden.

Ist die Lust am Online-Unterricht eingebrochen oder erst recht nachgefragt worden?

VLASMAN: Ich unterrichte an der Hochschule für Musik in Hannover, da hatten die Studierenden gar keine Wahl. Sie arbeiten alle selbstständig und profitieren vom Online-Format. Ich unterrichte auch an der Musikschule Charlottenburg, da wollen viele „einfach nur singen“. Dafür ist das Netz nicht optimal. Diese Form des Unterrichts ist generell nur eine Übergangslösung. Ich kann meine Studierenden nicht live am Klavier begleiten, zusammen improvisieren ist wegen der Verzögerung im Netz auch nicht möglich.

Haben Sie sich selbst ein Ultimatum gesetzt, wie lang Sie dem Schrecken noch zusehen wollen, bevor Sie sich im Supermarkt an die Kasse setzen?

VLASMAN: Ab August möchte ich wieder One-to-One unterrichten, vorausgesetzt, es wird mir bis dahin nicht verboten oder es kommen neue haarsträubende Studien über Aerosole und Gesang ans Licht. Ich denke viel über Lösungen für Liveauftritte nach, aber wir haben es ja nicht mit einer politischen Partei zu tun, die mich zwingt, in den Untergrund gehen zu müssen. Momentan kann ich glücklicherweise von meiner Lehrtätigkeit leben. Daher habe ich noch ein bisschen Geduld. Das ist eines der positiven Dinge, die aus Corona hervorgehen: Das Augenmerk wird endlich auf Menschen in prekären Verhältnissen wie Krankenschwestern oder Künstler gerichtet.

PECHLOF: Ich habe nicht vor, aufzugeben. Weder mit der Musik noch mit dem kulturpolitischen Engagement. Sich politisch zu artikulieren, wird noch wichtiger werden, wenn wir über zukunftsfähige Formen von Kulturförderung debattieren. Ich habe manchmal das Gefühl, der Konsens, dass Kunst wichtig für eine gesunde Gesellschaft ist, zerbricht. Jetzt sind wir alle im akuten Schock, aber der lange Schrecken kommt noch.

Die Fragen stellte Gregor Dotzauer.

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