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Kultur: Jazzlegenden

Eine historische Soiree im Finanzministerium

Dass ausgerechnet Hermann Görings Reichsluftfahrtministerium den Fliegerbombenhagel nahezu unbeschadet überstanden hat, gehört zu den bitteren Fußnoten der jüngeren Geschichte. So konnte der wuchtige 2100-Zimmer-Bürokomplex in der Wilhelmstraße / Ecke Friedrichstraße allerdings auch zu einem Symbolgebäude der Nachkriegszeit werden: Erst zog das sowjetische Militär ein, 1949 besiegelte die Gründung der provisorischen Volkskammer hier die deutsche Teilung. Im Juni 1953 sammelten sich die aufständischen Arbeiter vor der Natursteinfassade, einige Jahre später wurde am selben Ort der Satz gesprochen, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu bauen. Nach der Wende wurde das „Haus der Ministerien“ erst Sitz der Treuhandanstalt, 1999 schließlich Arbeitsstelle für die fast 2000 Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums.

Von Steffen Kampeter, einem der parlamentarischen Staatssekretäre Wolfgang Schäubles, ging die Initiative aus, die bewegte Historie des Gebäudes in öffentlichen Veranstaltungen zu reflektieren. Und weil das Richtfest für den Nazi-Prestigebau 1935 am selben Tag gefeiert worden war, an dem auch das Verbot von Swing und Jazz im deutschen Rundfunk in Kraft trat, stand nun die Musik der dreißiger Jahre im Mittelpunkt einer historischen Soiree. Trompeter Till Brönner suchte das Gespräch mit dem Zeitzeugen Coco Schumann, Daniel Hope und Sebastian Knauer spielten „entartete Musik“, Architekt Stephan Braunfels sprach über seinen Komponisten-Großvater Walter, dessen „Jeanne d’Arc“ Christoph Schlingensief an der Deutschen Oper vor einigen Jahren zu neuen Ehren gebracht hat.

Am eindrücklichsten allerdings dürfte für alle Erstbesucher die Kontaktaufnahme zu dem Haus selber gewesen sein, diesem steingewordenen Anspruch 1000-jähriger Beständigkeit. Angemessen gruselig die endlosen Flure und marmornen Treppenhäuser, die weitgehend in den Originalzustand zurückversetzt wurden, schwer enttäuschend dagegen die repräsentativen Säle, die sich nach der Modernisierung nun in der charakterlosen Plüschigkeit gehobener US-Hotelketten präsentieren.

Hoch spannend, wie der Historiker Marko Paysan in seinem Vortrag „Swing im Dritten Reich“ die Gegend rund um das Ministerium lebendig werden ließ: Wo heute der Dauerverkehr an Brachen und Investorenarchitektur vorbeirauscht, erstreckte sich vor dem Krieg eine glitzernde Unterhaltungsmeile, auf der noch bis 1939 Tag und Nacht in unzähligen Etablissements jener „Niggerjazz“ live gespielt wurde, der im Radio längst verboten war. Frederik Hanssen

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