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Wozu braucht man eigentlich die Tastatur? Stefan Schultze stößt Klänge an.

© Lena Ganssmann

Jazzwoche Berlin: Das dritte Ohr

100 Konzerte, 40 Orte: Die erste Berliner Jazzwoche beginnt im Sowieso. Sie zeigt eindrücklich die Vielfalt der Szene.

Von Gregor Dotzauer

Und das soll Jazz sein, könnte man mit jenem ungläubigen Staunen fragen, das alle Vorurteile über eine Musik zerstört, von der weithin ebenso übergenaue wie nebulöse Vorstellungen existieren. Klischees, die ein Pianist wie Stefan Schultze über den Haufen wirft, wenn er sich mit Schlägeln oder bloßen Händen durch seinen präparierten Flügel wühlt und tastet. Ein perkussiver Klangarbeiter zwischen einem kleinen Wald von Holzstäbchen, die zwischen den Saiten stecken und ihnen eine ganz andere Färbung geben, als wenn sie unter den Klavierhämmern frei schwingen würden.

Zwischen mächtigem Donner und fein ziselierten Minimal-Patterns steigen Töne aus dem Korpus, die sich mal anhören wie die Lamellen eines afrikanischen Daumenklaviers, der Mbira oder der Kalimba. Dann wieder meint man ein ungarisches Cimbalom zu vernehmen, ein mit Klöppeln angeschlagenes Hackbrett. Und manchmal scheinen sich die Gongs und Metallofone eines javanesischen Gamelan-Orchesters einzumischen. Von ferne winkt John Cage, der Urvater dieser trotz leichter Verstärkung rein akustischen Manipulationen. Auch in Zeiten des Volkssynthesizers verstrahlen sie einen Zauber, der so keinem elektronischen Instrument gelingt.

Davon will ich mehr!

Ja, es ist Jazz vom ganzen Gestus her: dem körperlichen Rhythmusgefühl, dem improvisatorischen Herangehen, der auf persönlichen Ausdruck angelegten Klanggestaltung. Und wenn man nur ein wenig Sinn dafür mitbringt, wie viel hier geschieht, kann auch einem hartgesottenen Klassikhörer oder ermüdeten Popfan der Ausruf entfahren: Davon will ich mehr!

Das jedenfalls ist die Erfahrung von Hans-Jürgen Linke, der zum Auftakt der ersten, von der IG Jazz veranstalteten Berliner Jazzwoche ein Panel mit vier Gästen moderiert, das eine ästhetische Standortbestimmung versucht, aber schnell Schlagseite zum Ökonomischen hin bekommt. Wer Jazz, so die Botschaft, nur für die Hintergrundmusik des pilstrinkenden Lederwestenträgers mit Schmerbauch hält, oder für die im Kaputtspiel entfesselte Lärmkulisse langbärtiger Althippies, dem entgeht die beglückende Breite dessen, was sich täglich zwischen Hardbop und Fusion in den Clubs ereignet.

Der Begriff Jazz ist mit Vorsicht zu verwenden

An sieben Tagen vermitteln nun über 100 Veranstaltungen an knapp 40 Orten einen Eindruck von der Vielfalt der Szene und ihrer Internationalität ((detailliertes Programm unter field-notes.berlin). Hier im Sowieso in der Neuköllner Weisestraße, in den anheimelnd heruntergeranzten Räumen einer früheren Metzgerei, toben sich eher die Protagonisten des freien Spiels aus. Und weil zu ihnen auch Vertreter der Echtzeitmusik gehören, die im Kontext der Neuen Musik sozialisiert worden sind, tut man gut daran, mit dem Begriff Jazz nicht allzu offensiv zu verfahren.

Schon bei Stefan Schultze, der eine Vielzahl von Projekten verfolgt, empfiehlt es sich, mit Zuschreibungen vorsichtig umzugehen. Seine Soundexperimente als Pianist, wie sie „System Tribe“ (WhyPlayJazz) dokumentiert, sind das eine. Die Kompositionen und Arrangements für sein Large Ensemble – der Begriff Bigband würde falsche Assoziationen wecken – gehören eher ins Feld dessen, was einmal Third Stream hieß: etwas Drittes neben Jazz und Klassik.

Wo es so heterogen zugeht, kann man sich auch beim Sprechen über diese freie Szene nicht einig sein. So klagt der Journalist Wolf Kampmann mit einer alles genuin Künstlerische missachtenden Formulierung, dass Jazzer zu oft „die Menschen nicht abholen“ würden, was die Harfenistin Kathrin Pechlof aus gutem Grund auf die Palme bringt. Wogegen wiederum Stefanie Marcus, die Chefin des Labels Traumtons, zu Recht anmahnt, dass Musiker, die die Kommunikation mit dem Publikum verweigern, nicht auf die Bühne gehören. Was man von denen, die Udo Muszynski zu „Jazz in E“ nach Eberswalde einlädt, nur in den seltensten Fällen behaupten kann.

Jongliert wird durchweg mit Äpfeln und Birnen, den unterschiedlichen Ansprüchen von Hoch- und Populärkultur, richtigen Beobachtungen und falschen Schlüssen sowie Hoffnungen auf öffentliche Mittel, wie sie Tänzer oder Lyriker gleichfalls hegen. Die Neugier auf diese Szene sollte man sich davon nicht nehmen lassen – auch wenn sich zwischen der großen Kunst und dem großen Unterhaltungsspaß hin und wieder ein Stück Autismus versteckt.

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