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Jean Dubuffet in der Kunstbibliothek: Das erlesene Gekritzel

Jean Dubuffet spielt mit Sprache und Gedrucktem. Die Kunstbibibliothek zeigt nun 200 Objekte Dubuffets - die Ausstellung ist sogar mit Originaltönen unterlegt.

Ein Sammler nobler Bücher wie sein Vater, ein großbürgerlicher Wein- und Spirituosenhändler wollte Dubuffet nie sein. Der Künstler verzehrte seinen Lesestoff lieber, indem er die Seiten bündelweise herausriss und nach der Lektüre schleunig entsorgte. Papiermüll. Dass der 1901 geborene Jean Dubuffet Bücher trotzdem liebte und sich sein Leben lang mit der eigensinnig-spielerischen Produktion von Gedrucktem vergnügte, zeigt eine Ausstellung in der Kunstbibliothek mit 200 Objekten vom Künstlerbuch bis zur Galerieeinladung. Den Erfinder der Art Brut und Sammler von Außenseiterkunst kennt man eigentlich eher als Maler, der seine Leinwände mit schlammfarbenen Krusten zentimeterdicker Materie bedeckte und daraus in archaischer Krakelmanier Köpfe, Tiere, Wege und kapitale Frauenakte kratzte. Die Werke in der Ausstellung kommen weniger wuchtig daher.

Bibliophile Kostbarkeiten zu schaffen – das hatte Dubuffet aber natürlich nicht im Sinn. Bewusst armselig, auf billigstem Papier und in unscheinbarem Format gedruckt, geben sich viele seiner Publikationen. Die Titelseiten sind krakelig in Handschrift gestaltet, die Texte teilweise mit Gummilettern gestempelt, wie Dubuffet sie als Kinderspielzeug im Schreibwarenladen entdeckte. In Reih und Glied ordnen sich Worte und Buchstaben nicht. Das sieht kunstlos aus und soll den Geist erfrischen.

Dubuffet entschloss sich erst mit über 40 zu einer Künstlerlaufbahn, nachdem er zuvor erfolgreich die väterliche Weinhandlung gemanagt hatte. Über befreundete Literaten wurde er auf die grafischen Techniken aufmerksam. Monatelang ließ er sich in der angesehenen Pariser Druckerei Mourlot Frères unterweisen, um sich die wandlungsfähige Lithografietechnik perfekt anzueignen. Danach gelangen ihm Arbeiten, die aussehen wie von Stümpern, Laien oder Kindern geschaffen – perfekt unperfekt. Diese Ästhetik einer Art Brut, einer rohen Kunst, schien ihm wahrer, frischer, ehrlicher. Die Regeln guten Geschmacks, der klassischen Schönheit und der schulmäßigen Orthografie störten da nur.

„Ler Dla Canpane“ -„Die Landluft“

Warum nicht schreiben, wie man spricht? Als Dubuffet 1947 bei einem Sahara-Aufenthalt den Dialekt der Tuareg zu lernen versuchte, notierte er sich die Wörter nach ihrem Klang. Prompt testete er das Verfahren auch an seiner französischen Muttersprache. Den in der Ausstellung in großen Lettern auf die Wand gebrachten Text „Ler Dla Canpane“, „Die Landluft“, zu entziffern, ist pures Sprachvergnügen. In respektlos entwaffnender Manier rechnet der Text mit der klassischen Idee erhabenen Naturgenusses ab. Den Originaltext zog der Künstler 1948 per Handdruck im Heftchenformat ab. Gleich zwei der 165 Exemplare liegen in der Ausstellung: Eins stammt aus der Kunstbibliothek, das andere aus der Kollektion des Buchhändlers Walther König. Auch Sammler Egidio Marzona und Galerist Heinz Berggruen erwärmten sich für Dubuffets Antikunst: Ein Ausstellungsplakat der Pariser Galerie Berggruen von 1960 wirbt für dessen Serie „La Fleur de Barbe“. Diese fulminant-witzige Hommage auf den Bart, das Gesichtsgestrüpp großer Männer seit der Antike, ist als Mappenwerk ebenfalls ausgestellt.

Dazu murmelt, pfeift und dröhnt es aus Lautsprechern, sobald sich die Ausstellung mit Besuchern belebt. Denn die Originaltöne des Sprachschöpfers und Lautpoeten Dubuffet liegen auf Schallplatten in der Kunstbibliothek verwahrt. Schöne Kakophonie!

Kunstbibliothek, bis 17. Januar 2016

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