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© Koncerthuset/WildKatPR

Jean Nouvel: Ein Brocken Urgestein

Nur eine Rolltreppe für 1800 Besucher: Frankreichs Stararchitekt Jean Nouvel hat Kopenhagen ein neues Konzerthaus gebaut.

Die Umgebung von Skandinaviens neuem Kulturtempel sieht nicht unbedingt wie eine Gegend aus, in der Kultur gedeiht: Zwischen grauen Prekariatskasernen und windzerzaustem Brachland ragt am äußersten Stadtrand Kopenhagens der große blaue Würfel auf, der das neue Konzerthaus der dänischen Hauptstadt umhüllt. Gäbe es nicht eine eigene Metrostation und den direkt benachbarten, ebenfalls brandneuen Bürokomplex von Danmarks Radio, könnte man denken, dass der seltsame Bau vom Himmel geplumpst und hier zufällig aufgeschlagen sei.

Auch Jean Nouvel dürfte nicht gerade begeistert gewesen sein, als er zum ersten Mal den Bauplatz für das Prestigeprojekt besichtigte: Konnte er sich bei seinem berühmten Luzerner Festspielhaus von der Bergkette des Vierwaldstätter Sees zu einem selbstbewussten Dialog der Architektur mit der Natur inspirieren lassen und bei seinem Institut du Monde Arabe in Paris aus dem ornamentalen Fundus islamischer Dekorationskunst schöpfen, schien es hier im Niemandsland zwischen Flughafen und Sundbrücke so gar nichts Inspirierendes zu geben. Nur einen tiefen Horizont und sehr viel Himmel.

Doch Frankreichs Stararchitekt machte aus der Not eine Tugend und aus dem Himmel ein Gebäude. Ein Nichts will die doppelte Außenhaut seines Konzerthauses sein: erst eine blaue Epidermis wie geronnene Luft, darunter durch einen schmalen Korridor abgetrennt, ein Glaskubus, der den Blick auf ein luftiges Inneres, elefantenhautartig durchfurchte Sichtbetonwände und den amorphen, mit dunkelbraunen Schuppen verkleideten Korpus des Saals freigibt. Wie einen Meteoriten solle man sich den großen Konzertsaal im Zentrum des Baus vorstellen, hatte Nouvel erklärt. Ein Brocken Urgestein, gegen dessen Ewigkeitsanspruch sich die funktionelle Software betont provisorisch gibt: Die Sperrholzplatten, mit denen die spärlichen Treppen verkleidet sind, ebenso wie die Garderoben mit ihren mobilen Rollboxen – selbst die mondrianesken rechteckigen bunten Leuchtfelder, die als Lichtquellen in die nackten Betonwände eingelassen sind, verströmen rauen Baumarkt-Charme.

Ein bisschen aufdringlich wirkt diese Selbstinszenierung schon, zumal dem Bau mit seinen verspielten Details und vorprogrammierten Funktionsengpässen – eine einzige Rolltreppe als Saalzubringer für 1800 Besucher – der ästhetische Zusammenhalt fehlt, wie ihn etwa Daniel Libeskinds ähnlich essayistisch inspiriertes Jüdisches Museum in Berlin besitzt.

Der Eindruck des allzu Gewollten verringert sich zum Glück, sobald man das Innere des Saals betritt: Zwar führt Nouvel auch hier mit unterschiedlich behandelten Holzarten, die an Gesteinsschichten erinnern, seine Meteor-Idee fort, doch verleiht hier schon die arenaartige Innenkubatur dem Esprit des Architekten eine zusammenfassende Form. Und die Akustik, für die der japanische Konzerthallen-Guru Yasuhisa Toyota hinzugezogen wurde, braucht ohnehin keinen Vergleich mit den großen Konzerthäusern Europas zu fürchten: Die Musiker des Dänischen Rundfunkorchesters, die bislang in einem kleinen Saal aus den dreißiger Jahren spielen mussten, sollen vor Glück geweint haben, als sie das erste Mal hier proben konnten, heißt es.

Grund dazu hätten sie jedenfalls: Mit seinem transparenten Klang, in dem jede Orchesterstimme unforcierte Präsenz gewinnt, schafft der neue Konzertsaal die Voraussetzung, damit sich aus den bislang im europäischen Mittelfeld dümpelnden dänischen Nationalsinfonikern ein Spitzenorchester entwickeln kann. Den Ehrgeiz dazu scheinen jedenfalls sowohl Chefdirigent Thomas Dausgaard wie auch die Geldgeber zu besitzen: Obwohl Danmarks Radio wegen einer massiven Überschreitung der Baukosten einige hundert Stellen einsparen musste, wird das Orchester auf eine konkurrenzfähige Sollstärke von 99 Musikern aufgestockt.

Jörg Königsdorf

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