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Kultur: Jeder lügt, so gut er kann

IvanNagels„Falschwörterbuch“ – eine Diskussion in Berlin

Ivan Nagel spricht mit leisem Nachdruck. Wenn die Wörter harte Konsonanten enthalten spricht er sie meistens weich aus. Es geht um Krieg, Terror oder die Agenda 2010 – lauter schlimme Sachen. Aber Ivan Nagel ist ein distinguierter Protestler: Politik ist nicht zuletzt eine Frage des Stils. Auch darum geht es ja in seinem „Falschwörterbuch“, über das der Autor am Montagabend in der Berliner Schaubühne mit dem Historiker Peter Bender, dem Publizisten Gustav Seibt und mit Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo diskutierte.

Zuerst liest Nagel vor. Dezent, aber deutlich, rabiat in der Sache, aber ohne Furor in der Stimme, zählt er sie auf: die Propagandawörter der Irakkriegs-Befürworter ebenso wie die Verschleierungsformeln der deutschen Sozialreformer. Seine Sätze baut Nagel dabei gerne um Begriffspaare herum: Wut und Witz, Gewinngier und Gewaltshow, Merz und Merkel, zerrissene Eingeweide gegen perfekte Maschinen. Dualismen, die manchmal in dialektische Bewegung geraten. Das ist das Schöne an den politischen Essays des langjährigen Theatermachers Nagel: Er inszeniert seine Sprache – und die Wörter treffen sich zum Duell.

Aber wir leben im Zeitalter der asymmetrischen Kriege. Nagels Begriffswelt mag den moralischen Zwiespalt angesichts von Waffengewalt gegen Terrorregime durchaus kennen. Sie ist dennoch vergleichsweise ausbalanciert. Es gibt Gut und Böse, Krieg und Frieden, Kapitalisten und Arbeitslose. Gustav Seibt macht dagegen darauf aufmerksam, dass die im Vergleich zum US-Präsidenten eher unbedeutenden Popliteraten der Generation Golf sich die Welt ja auch schön redeten. Cosí fan tutte: Peter Bender erinnert an die verbalen Schlachten des Kalten Krieges, di Lorenzo verweist auf die Falschwörter und Falschbilder der Kriegsgegner. Als allzu wirkungsvoll hat sich das Lügenkartell von George W. Bush außerdem nicht erwiesen. Die Mehrheit der Deutschen war gegen den Krieg; den Halbwahrheiten und Fehlinformationen aus dem Weißen Haus sind viele offenbar nicht zum Opfer gefallen.

Schade, dass Moderatorin und taz-Korrespondentin Bettina Gaus diese Frage nicht an Nagel zurückgibt: Jeder lügt, so gut er kann – was folgt daraus? Dass Politik längst durchschaubar ist? Und das Volk doch vernünftig? Wie sähe ein „Falschwörterbuch“ aus, das die „Ideologiehaltigkeit aller politischen Lager“ offen legte, wie ein Zuschauer anmerkt? Man nehme nur die Apokalyptiker der Achtzigerjahre. Haben sie mit ihren Weltuntergangsszenarien nun gnadenlos übertrieben oder die Öko-Katastrophe mit eben jenen Horrorvisionen verhindert? Es ehrt Ivan Nagel , dass er den Glauben an die Verbesserung der Welt nicht aufgibt. Wäre sie ein guter Zweck (wie einst das Ende des Waldsterbens), der selbst Falschwörter heiligte?

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