zum Hauptinhalt

Kultur: Jeder muss über seinen Schatten springen

Sie kämpfen gegen den Schließungswahn: Das „Forum Zukunft Kultur“ erörtert Überlebensperspektiven

50 Kulturexperten treffen sich in Berlin, um die Berliner Misere zu diskutieren und ein Zukunftsforum zu starten. Was ist noch nicht gesagt worden? Was wollen Sie erreichen?

HASSEMER: Wir wollen über Strategien für eine stabile Zukunft der Kultur Berlins sprechen. Es soll keinesfalls darum gehen, erneut eine Spardiskussion zu führen.

RAUE: Ein wichtiger Ansatzpunkt der Runde ist, dass wir nicht einfach über Geld reden. Wir sagen nicht: Es muss mehr Geld in die Kultur fließen. Oder: Die immer neuen Kürzungsvorschläge von Herrn Sarrazin sind ebenso zynisch wie irrational – was richtig wäre. Unser Hauptthema ist: Wie kann man zu Strukturen kommen, die die Finanzierbarkeit für den Staat erleichtern und für die Institutionen garantieren? Wenn wir nicht zu einer gewissen Sicherheit kommen, geht die Kultur schon an der Diskussion zu Grunde.

Sie haben Vertreter aus Hoch und Off-Kultur, aus der Wirtschaft, sogar aus der Club-Szene eingeladen. Wie wollen Sie da ein Gesamtkonzept entwickeln?

BINAS: Wir sind kein Sonderforschungsbereich. Jeder kommt mit konkreten Erfahrungen. Meine Hoffnung war, dass es im Gespräch zu eigenwilligen Allianzen kommt, so wie es sie in der Stadt schon hier und da gibt.

HASSEMER: Wir wollten deshalb zum Auftakt auch kein Papier verabschieden. Die Situation ist so voller Risiken, dass sie sich kaum mit einem Papier bewältigen lässt. Wir wollten unter allen Beteiligten einen Prozess in Gang setzen...

RAUE: ...einen Prozess mit offenem Ausgang. Deshalb ist die Teilnehmerliste so skurril: Es ist weder der Rat der Künste vertreten, noch sind es die freien Journalisten...

...noch sind es Politiker, die ja ihre wesentlichen Adressaten sind.

HASSEMER: Ich bin aber überzeugt, dass es am Ende auch Politiker gibt, die das interessiert, was wir diskutieren! Andererseits wäre es hilflos, von den Politikern Lösungen zu erwarten. Unsere Arbeit wird unterstützt von der Siemens Kulturstiftung, nicht vom Senat. Wir haben keinen Auftrag. Und wir wären schwächer, wenn wir einen hätten.

Bekanntlich hat Adolphe Binder, die Ballettchefin der Komischen Oper, den Vorschlag gemacht, ein Berliner Opernhaus den Ballettkompagnien zu überlassen. Haben Sie auch solche Ideen diskutiert?

HASSEMER: Wir haben eher Bewegungsparameter diskutiert als schnelle Lösungsvorschläge. Gerade der Streit ums Berliner Ballett ist die verschleppteste Diskussion überhaupt. Seit Jahren gibt es in der Kultur nur die Frage: Was lässt sich angesichts schwindender Mittel nicht mehr machen? Diese wuchernde Diskussion wollen wir ablösen durch einen Diskurs über die Bedingungen einer stabilen Zukunft. Was entstehen muss, ist eine Kultur des Zusammenkämpfens und Zusammenstehens.

Die Vorschläge zur Umstrukturierung liegen seit langem auf dem Tisch. Was können sie mehr erhoffen, als eine bessere Atmosphäre für die Kultur zu erzeugen?

HASSEMER: Es geht durchaus auch, aber nicht nur um Atmosphäre. Wir müssen uns etwa fragen: Wie muss die Opernstiftung konstruiert sein? Wie kann man das private Engagement steigern?

RAUE: Gerade bei der Frage, wie wir Staatsbetriebe in private Institutionen verwandeln, ist es natürlich kontraproduktiv, wenn sich Herr Sarrazin hinstellt und sagt: Ich schließe die Privattheater, weil das am einfachsten zu machen ist.

... also Berliner Ensemble und Schaubühne.

RAUE: Genau. Das ist nicht der Weg, private Initiativen zu fördern. Es ist die schlechteste aller denkbaren Möglichkeiten, wenn ich sage, ich schließe das Theater nur, weil die Schließung am schnellsten Geld bringt, aber nicht, weil ich es für entbehrlich halte.

BINAS: Wir müssen endlich Reizthemen direkt ansprechen, zum Beispiel die Notwendigkeit der tariflichen Veränderungen. Fragen nach einem strukturellen Umbau der öffentlichen Kulturförderung müssen auf den Tisch. Denn es geht darum, Gestaltungsspielräume zurückzugewinnen.

Gestaltungsspielraum für Neue Musik, indem man traditionelle Orchester schließt, wie es Ihr Papier vorschlägt?

BINAS: Im Papier ist nicht von Schließung die Rede, sondern von strukturellem Umbau. Dennoch haben wir uns vorgenommen, sehr offen zu reden. Man darf auch Gedanken entwickeln, die über das Machbare hinausgehen. Auch im Sinne einer Polemik, die auf Schieflagen in der Stadt reagiert.

HASSEMER: Wir sind nicht daran interessiert, über Schließungen zu debattieren. Das machen alle. Wir wollen etwas tun, was andere nicht tun, aber das rigoros.

... also konkret gesagt: Ein Debattierklub zur persönlichen Horizonterweiterung?

HASSEMER: Ich würde ein sehr schlechtes Gewissen haben, auch nur eine Minute von einem der Teilnehmer gestohlen zu haben, wenn es darum gegangen wäre, sich noch einmal über Bekanntes auszutauschen. Wir brauchen Veränderungen. Unser Grundsatz ist der eines „großen Pakts“ aller vier Teile: Die Künstler müssen über ihren Schatten springen, die Institutionen, die Privaten und auch die Öffentliche Hand. Es muss ein neues Kräfte-Parallelogramm entstehen. Das kann ich nicht mit schnellen Erklärungen erreichen. Das muss ein Wachstumsprozess ergeben.

RAUE: Es wären ja auch nicht 50 Leute zusammengekommen, wenn nur die Aussicht bestanden hätte, das zu tun, was wir das ganze Jahr über tun, nämlich zu diskutieren.

Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass das, was Sie diskutieren, auch außerhalb der Stadt auf Interesse stößt?

ROSSNAGL: Was wir hier besprechen, steht pars pro toto für die Probleme anderer Kommunen und Institutionen. Weil sich Berlin in einer so schwierigen Lage befindet, ist es Muster und Beispiel für die ganze Republik. Wenn es hier Veränderungen gibt, werden die auch in München oder Köln beobachtet.

Eines Ihrer Hauptthemen waren die Tarifverträge. Ich nehme an, der Konsens in der Gruppe ließ sich schnell erreichen – Gewerkschaftsvertreter waren nicht geladen.

RAUE: Es wäre völlig sinnlos, einen Vertreter der Gewerkschaften zur Diskussion hinzuzuziehen – das wäre, als ob man bei der Frage des Kirchenaustritts einen Kardinal befragte.

Eine Frage, die entscheidend für die Zukunft der Kultur ist, lautet: Wie stärken wir das Engagement privater Förderer?

ROSSNAGL: Jede Institution, die auf private Unterstützung hofft, muss in der Lage sein, in Kontakt mit ihren Förderern zu treten und auch ,Danke’ zu sagen. Das ist heute in Deutschland nicht üblich. Hier gilt der Grundsatz: Take the money and run. Allerdings gibt es auch positive Beispiele in der Stadt wie das Sommerfestival ,Young Euro Classic’.

RAUE: Notwendig – im Wortsinn: Not wendend – ist ein Mentalitätswechsel auf beiden Seiten. Natürlich wirkt es nicht gerade einladend, wenn Erich Marx ständig hört, er engagiere sich nur im Hamburger Bahnhof, um seine Bilder aufhängen zu können. Auf der anderen Seite sind auch viele Firmen noch nicht reif: Etwa, wenn sie die Unterstützung einer Ausstellung ablehnen mit der Begründung, solche Ausgaben im eigenen Haus nicht vertreten zu können. Es sind dieselben Unternehmen, die ohne Probleme unvorstellbare Beträge im Sportbereich investieren.

HASSEMER: Viel komplizierter ist es, in Kontakt mit Einzelpersonen zu treten. 95 Prozent der Gelder liegen bei Privaten, nicht bei Unternehmen. Die kennen wir gar nicht. Es ist wie bei der Besteigung des Mount Everest: Die paar, die es geschafft haben, kennt man. Das vermittelt die Botschaft, dass mit diesem Terrain umzugehen besonders schwierig sei. Das müssen wir ändern. Zurzeit gilt Berlin als steiniges Pflaster für Stiftungen. Wir müssen erreichen, dass es zur Qualität dieser Stadt gehört, Leuten den Weg leicht zu machen. In fünf Jahren könnten sich die Beiträge der Privaten verdoppeln.

Sie nennen sich „Forum Zukunft Kultur“. Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft in Berlin aus?

BINAS: Ich wünschte mir, dass die differenzierten Vorstellungen, was Kultur ist und wie man mit ihr umgeht, nicht in der überhitzten aktuellen Situation kaputtgeredet werden.

RAUE: Es muss ein Bewusstsein entstehen für die kulturelle Sprache, die Berlin spricht. Wenn es uns nicht gelingt, zu vermitteln, dass Berlin ohne sein kulturelles Leben eine tote Stadt wäre, kommen wir nicht weiter. Heute wird selbst von namhaften Kritikern bei missglückten Premieren erwogen, ob man das Haus nicht gleich schließen könne.

ROSSNAGL: Das wäre, als wenn man bei der Bahn, sobald ein Zug ausfällt, darüber spräche, den gesamten Zugverkehr einzustellen.

RAUE: Wenn das freigewordene Geld danach bei der Kultur landet, wäre mir das recht.

Das Gespräch führten Christina Tilmann und Frederik Hanssen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false