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Hamburgerin aus Baltimore. Sophia Kennedy.

© Benjakon

Jeder Song ist ein Biest für sich: Indie-Popstar Sophia Kennedy und ihr Album „Monsters“

Sie macht den Underground zur Showbühne: Musikerin Sophia Kennedy packt Dubstep-Versatzstücke und Elektrospielereien in klassisches Songwriting.

Wenn die Welt brennt, will Sophia Kennedy Händchenhalten im Park. Genauer gesagt will das die Erzählerin, die im Song „Orange Tic Tac“ die Apokalypse bestaunt: roter Himmel mit roten Käfern, zuckende Lichter, Hitze.

Die Stadt steht in Flammen, aber eine hat Spaß – „das könnte auch aus einem Marvel- oder DC-Comic sein, so ‚Joker‘-mäßig“, sagt Kennedy.

Sie will wissen, was unter dem Bett ist

Man wisse schließlich nicht, ob die Erzählerin das Inferno nicht auch ein bisschen gut findet. Sophia Kennedy, 31 Jahre alt, gruselt sich gern. Sie findet es gut, sich damit zu konfrontieren, was unter dem Bett ist, was sie bedroht. Ihr zweites Album heißt „Monsters“, aber es ist trotzdem manchmal lustig.

Die Welt wusste noch nicht, dass sie Kennedy braucht, als die vor vier Jahren ihr selbstbetiteltes Debütalbum veröffentlichte. Aber als sie dann da war, die Hamburgerin aus Baltimore, schienen plötzlich alle zu merken, wie sehr sie sich nach ihr gesehnt hatten: nach einem richtigen Popstar, der den Underground des Landes zu seiner Showbühne machte.

Ihre Stimme konnte weich wie Samt sein oder streng, und trotz ihrer Nahbarkeit und Selbstironie stand Kennedy in der deutschen Indielandschaft seltsam extravagant herum – ein bisschen, als habe sie sich in dem roten Lackanzug, den sie auf frühen Konzerten gern trug, auf eine Studentenparty verirrt.

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Teil des Hamburger Szenengeflechts ist sie trotzdem seit Jahren: Schon vor dem Debüt veröffentlichte sie 2013 mit Erobique ihren ersten Song „Angel Lagoon“. Mit der Ex-Hamburgerin und Wahlberlinerin Stella Sommer, bekannt als Grabesstimme der Band Die Heiterkeit, sang sie vor zwei Jahren das Duett „Man weiß es nicht genau“.

Mense Reents von der Punk-Institution Die Goldenen Zitronen ist sogar sowas wie ein heimliches Bandmitglied, mit ihm nahm Kennedy „Monsters“ wie auch ihr erstes Album auf.

Vor vier Jahren staunte man noch, wie gut sich Gegenwartsinventar wie Dubstep-Versatzstücke in Popsongs mit so klassisch schönen Melodien machten. In allen Stücken steckten Ideen für zehn weitere, trotzdem klangen sie so mühelos, als hätte Kennedy sie auf dem Weg ins Café aus dem Ärmel geschüttelt.

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Seitdem hat sich der Himmel ein wenig verdunkelt, wie man schon „Now“ anhörte, der 2019 veröffentlichten LP ihres Duos Shari Vari. „In den Jahren zwischen meinem ersten und dem zweiten Album passierten ein paar schwere Schicksalsschläge“, sagt Kennedy im Videocall.

„Natürlich ist in das neue Album auch eine Anspannung eingeflossen, die ich in der Welt spüre. Ich habe in den vergangenen Jahren meine persönliche, aber auch die große, weite Welt politisch und sozial als sehr angespannt und bedrohlich empfunden.“ Es sei keine konkrete Furcht, die sie beschäftige. Und doch sind die Themen Angst und Apokalypse in „Monsters“ präsent, obwohl Kennedy keine Untergangsprophetin sein will.

Moralisch werten muss nicht sein

„Mir ist es wichtig, dass man nicht immer nur moralisch bewertet, wenn man über böse und gute Menschen spricht“, sagt Kennedy. Die Ambivalenz zwischen Untergangsangst und -lust aus dem Song „Orange Tic Tac“ kennt sie tatsächlich.

Als die großen Buschfeuer in Australien und Kalifornien ausgebrochen sind, sei man schockiert von den Bildern gewesen, sagt Kennedy, weil man wusste: Das ist jetzt wirklich die Klimakatastrophe. Andererseits seien die Bilder auch einfach sehr beeindruckend gewesen. Bedrohung und Leichtigkeit, glaubt Kennedy, gehen Hand in Hand.

Mense und ich hängen uns rein

Mit den titelgebenden Monstern meint sie aber noch etwas anderes. „Mense und ich hängen uns sehr rein, wenn wir ein Album machen“, sagt sie. Die beiden würden sich nicht einfach treffen und ein bisschen Klavier spielen, sondern ihr Leben ins Studio verlagern, gemeinsam Ideen suchen, wieder verwerfen, alles umschmeißen.

„Wir mussten die Stücke zeitweise richtig bändigen“, sagt Kennedy. „Wenn man dann ins Studio kommt, hat man das Gefühl, da warten zehn kleine, unfertige Ungeheuer auf einen. Jedes Stück hat seinen eigenen Konflikt, auch deshalb war ‚Monsters‘ ein guter Titel.“

Wilde Tiere nagen am Leichnam

Tatsächlich ist jeder Song ein Biest für sich. Da ist „Francis“ aus dem gleichnamigen Song, ein überprivilegierter Narzisst, dem die Welt zu Füßen liegt und der trotzdem vom Leben überfordert ist – wofür er sich von einem Affenchor, der aus Kennedys vervielfachter Stimme besteht, verhöhnen lassen muss.

Da ist die Erzählerin im Song „Animals Will Come“, die darüber fantasiert, wie ihr Leichnam im Sand liegt und von wilden Tieren angenagt wird, wobei die Aasfresser – ganz höflich-diskret – keine Fragen zu ihrem Ableben stellen: „Animals will come/Won’t ask any questions/Chewing on my bones“.

Verbeulte Gitarren, elektronische Texturen

„Auf meinem Debüt wollten wir entschlossene, kraftvolle, formal strenge Popmusik machen, alles sollte seinen Platz haben“, sagt sie. Obwohl auch auf „Monsters“ jedes Detail durchdacht ist, hat sich Kennedy mehr Improvisation, ihrem Sound mehr Lebendigkeit zugestanden als auf ihrem ersten Album. Es gibt verbeulte Gitarren, elektronische Texturen und dutzende Mini-Einfälle: Hier pfeift es, da klirrt es, dort brandet für Sekunden ein Gospelchor auf.

Kennedy überzeichnet Songwriting-Klischees und bricht zugleich mit ihnen. Ihrem Debüt bescheinigten viele, es klinge nach Brill Building, nach Tin Pan Alley. Beide Orte in New York waren im 20. Jahrhundert Machtzentralen der US-Musikindustrie und stehen heute synonym für die Goldene Ära des Songwritings.

[„ Monsters“ erscheint am Freitag, 7. Mai, bei City Slang.]

Ein bisschen sei dieser Sound in ihr, sagt Kennedy, auch wenn sie eigentlich gar nicht wisse, was das sein soll: eine amerikanische Prägung. Sie sagt „Amerika“, nie „USA“, als spreche sie eher von einem Sehnsuchtsort als von einem Staat. Als sie als Kind nach Deutschland gekommen ist, erinnert sie sich, seien ihr vor allem die Kinderlieder aufgefallen.

Immer ging es um den Wald, den Kuckuck und den Tod. Und ums Wandern. „Welches Kind geht denn bitte gern wandern?“, fragt Kennedy. „Das ist für mich sehr deutsch: Die Lieder sind morbide und märchenhaft, aber vermitteln auch Disziplin und Bedrohung. In amerikanischen Kinderliedern stecken viel mehr Leichtigkeit, Trost und Pop-Appeal.“

Alles muss existenziell sein

In Deutschland hingegen müsse alles existenziell sein: Alles ist erst dann etwas wert, wenn man dafür gelitten hat. Sie genieße Pathos ja auch, aber da sei oft eine Ernsthaftigkeit dahinter, die auf Dauer schwer zu ertragen sei, sagt Kennedy, „weil nur sie angeblich das Wahre und Echte abbildet. Aber mich interessieren eben auch Oberflächen und das Nicht-Authentische. Und ich glaube daran, dass es auch eine humorvolle Auseinandersetzung mit schweren Themen gibt.“

Anders als bei Künstler:innen, die das Wesen des Bösen notfalls auch mittels Humor verstehen wollen, verbirgt sich hinter Kennedys Musik aber eben nicht die Lust auf ein bisschen Gewaltporno. Ihre Figuren stehen nicht blutrünstig wie der Joker in der ersten Reihe, wenn die Welt aus den Fugen gerät; sie gehen wie im Song „Orange Tic Tac“ erstmal eine Runde Karussell fahren.

Julia Lorenz

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