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Kultur: Jenseits von Eboli

Eine Entdeckung: Bilder von Carlo Levi im Jüdischen Museum

Der Weg war weit von den breiten Avenuen von Paris bis hin zu den staubigen Wegen von Grassano. Der kultivierte Arzt und engagierte Künstler, der fünf Jahre in Paris gelebt hatte, auf der Biennale in Venedig vertreten war und in Turin als Maler, Journalist und Autor zu den Widerstands-Kreisen der linken Kulturszene gehörte, stand 1935 fassungslos am Orte seiner Verbannung: Im äußersten Süden Italiens, im Bergdorf Aliano in der Basilicata, unweit der Höhlenstadt Matera, fand er sich in einer Landschaft ohne Zivilisation, ohne Austausch, ohne Gott.

In seinem Roman „Christus kam nur bis Eboli“ hat Carlo Levi diesen Zivilisationsschock beschrieben – und ihn in seinen im Exil entstandenen Bildern anschaulich gemacht. Doch während der Roman, in über 40 Sprachen übersetzt und in Italien als Gründungstext des Neorealismus bis heute Schullektüre, zu den Klassikern der Weltliteratur gehört, sind die Bilder des in Italien hoch geschätzten Malers im Ausland so gut wie unbekannt. Das Jüdische Museum Berlin übernimmt nun eine anlässlich des 100. Geburtstags des Künstlers 2002 von der Carlo Levi Fondazione gemeinsam mit dem Jüdischen Museum in Frankfurt konzipierte Wander-Ausstellung, um im Erdgeschoss des Libeskind-Baus eine neue Wechselausstellungshalle zu eröffnen.

Licht ohne Farben

Der Weg von Turin in die Basilicata war weit – und er führte von einer eleganten Großstadt-Malerei im Stil der Neuen Sachlichkeit zu Bildern, in denen wenige Braun-, Gelb- und Grautöne mit einer Delikatesse abgestimmt sind, die an Giorgio Morandi erinnert. Was für Carlo Levi menschlich eine Tragödie bedeutete – das Exil, die Verbannung, die unzureichende medizinische Versorgung, die komplette Isolation von Kollegen, Freunden, Familie –, war künstlerisch ein Segen. Die Beschränkung auf wenige Themen wie Landschaften, Stilleben und Bauernporträts, das eigenartig farblose Licht des Südens und die erzwungene Konzentration hat seinem Werk gut getan, hat ihm Leidenschaft, Thema und eigenen Stil gegeben.

„Ich weiß noch nicht, wie ich diese so ernsthafte und schwermütige Landschaft malen soll, die das genaue Gegenteil der bunten und glücklichen Vielfalt von Alassio ist“, schrieb Levi zwei Tage nach seiner Ankunft etwas ratlos an seine Mutter. Doch zwei Tage später wusste er: „Bescheiden sind die Farben dieser Erde, und gerade in dieser Bescheidenheit liegt ihre Schönheit.“ Die ersten Bilder aus Grassano und Aliano zeigen genau das: eine karge Landschaft, einen Hügel, knorrige Olivenbäume, kaum menschliche Spuren. Die Farbpalette ist sehr beschränkt und „für mich ungewöhnlich: vom Gelb zum Violett ohne eine Spur von Blau oder Rosa“, wie er an Freunde schreibt.

Zwei schlechte Ärzte

Später kommen andere Motive hinzu: Ein Bauernjunge, der eine Ziege trägt, einer der beiden unfähigen Ärzte, die in „Christus kam nur nach Eboli“ so anschaulich beschrieben werden, Stillleben aus Salamistangen, Flaschen und Früchten. Und der Künstler selbst, verschattet, melancholisch brütend, an einem Tisch voller einfacher Gerätschaften. Die expressive Einfachheit, die Reduktion auf wenige Farben jedoch ist geblieben.

Die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die in den Exilbildern so offenkundig ist, hat System, von Anfang an. Carlo Levi hat begonnen als einer der „Sechs von Turin“, einer Malergruppierung, die sich gegen die Abstraktion und für einen neuen Realismus engagierte. Am Anfang, in den 20er Jahren, sind da die klaren Farben und Formen, die aufgeräumten Straßen von Paris, die hart realistischen Porträts von Vater und Mutter, Cousine und Bruder. Später werden die Motive weniger, die Farben blasser – die Abneigung gegen abstrakte Kunst jedoch bleibt bestehen. Es entstehen Porträts der Freunde und Kampfgenossen, wie Pablo Neruda, Leone Ginzburg, Italo Calvino und Ilja Ehrenburg. Und in den 50er Jahren entstehen politische Bilder wie die bekannten „Revolutionären Bäuerinnen“ (1951) oder die Klageweiber, die um den ermordeten Dichter und Levi-Freund Rocco Scotellaro trauern (1953).

Am Ende schließt sich ein Kreis: Wer den italienischen Neorealismus bislang mit den Filmen von Visconti, Rossellini und Pasolini verbunden hat, jenen in hartem Schwarz-Weiß gedrehten Balladen aus der Welt der Strich- und Gassenjungen, der Prostituierten und Fabrikarbeiter, begegnet unter den Nachkriegs-Bildern Carlo Levis einem bekannten Gesicht: Anna Magnani steht über den Dächern von Rom, verschlossen, herb, mit trotzig verschränkten Armen. Sie ist – auch in Farbe – eine neorealistische Ikone. Und ihr Porträt eines von Levis markantesten Bildern.

Jüdisches Museum Berlin, Lindenstr. 9-14, bis 4. August, Di bis So 10 bis 20 Uhr, Mo 10 bis 22 Uhr. Katalog 20 Euro.

Christina Tilmann

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