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Kultur: Jenseits von Fritz und Blitz

Genauer erinnern, nicht vergessen: Jörg Friedrichs „Brand“-Buch könnte den Briten helfen, ihr Verhältnis zu den Deutschen neu zu bestimmen

Wie redlich wir Deutsche uns auch mühen, wir werden von den Engländern nicht geliebt. Im Gegenteil. An die Sticheleien, mit denen wir „Krauts“ auf Schritt und Tritt an unsere Nazi-Vergangenheit erinnert werden, nicht nur von den schnellen Federn in der Boulevardpresse, auch von den besten Freunden, haben wir uns schon gewöhnt. Milde nehmen wir es hin, dass sich offenbar ein Pawlowscher Reflex herausgebildet hat, der die Briten dazu treibt, den Arm hochzureißen und „Sieg Heil“ zu rufen, sobald sie eines Deutschen ansichtig werden.

Aber nun nimmt Gewalt gegen Deutsche zu – gerade unter den jüngeren Generationen. In Cornwall wurde eine deutsche Schulklasse mit Steinen beworfen. Bei Motorola in Swindon konnten zwei deutsche IT-Techniker das „Achtung! Herr Gauleiter“ nicht mehr aushalten und zogen vor Gericht. Im Londoner Wandsworth wurden deutsche Austauschschüler beim Fußball verprügelt. Schüler der deutschen Schule in Richmond sind ständigem Psychostress ausgesetzt, werden von englischen Schulbuben schon mal aus dem Bus geworfen. „Hunderte von Vorfällen“ könnte Schulleiter Gerd Köhncke zitieren. „Wir müssen daran arbeiten, dass diese Stereotypen abgebaut werden“, sagte der deutsche Botschafter Thomas Matussek im Gespräch mit den deutschen Lehrern.

Nun zog er im „Guardian“ gegen die „britische Xenophobie“ zu Felde. Überrascht zeigte er sich, dass die Nazizeit zu den drei beliebtesten Wahlthemen der Schulabgänger gehört. Niemand dagegen befasse sich mit dem heutigen Deutschland. In der Botschaft vermerkte man zufrieden, wie sachlich sogar Boulevardblätter wie die „Daily Mail“ über den Vorstoß berichtet haben. Der „Guardian“ räumte in einem Kommentar zerknirscht ein: „Die Wahrheit ist, dass Großbritannien, nicht Deutschland ein Gefangener seiner Vergangenheit ist. Die deutsche Gesellschaft ist viel ehrlicher als wir im Umgang mit ihrer Vergangenheit, wissender und entschlossener, Lehren zu ziehen und in den Dienst der Zukunft zu stellen.“

Das satirische Website „Anorak“ gab dem die unausweichliche andere Wendung. „In den Augen des Botschafters weigert sich die britische Gesellschaft, ihn und sein Volk vergessen zu lassen.“ Früher oder später führt so alles zu der unwiderlegbaren Rechtfertigung des britischen Deutschen-Ressentiments. Es bleibt das Fundament unserer Beziehungen, auch wenn meistens der Mantel der Höflichkeit oder des Humors darüber gebreitet wird. Brauchen wir also einen anderen Umgang mit der Geschichte?

Als Deutsche verspüren wir einen wachsenden Drang, die Debatte nach Großbritannien zu tragen. Wir ahnen, wie viel – anders als bei der hochsubventionierten Aussöhnung mit den Franzosen – in den Beziehungen mit den Briten im Argen geblieben ist. Wir wollen uns nach bald 60 Jahren auch weniger bieten lassen. Wie die Motorola-Techniker klagen wir den gleichen Schutz vor Diskriminierung ein, den Schwarze und Asiaten genießen. Schneidigere Stimmen, in denen Briten schnell deutsche Schulmeisterei heraushören, werfen ihnen vor, „den Zweiten Weltkrieg zum spirituellen Zentrum ihres nationalen Selbstverständnisses gemacht zu haben“. Doch die Rache für diese Kritik des damaligen Kulturministers Naumann kam bald in Form der berüchtigten Hasstirade der „Sunday Times“: „Den Hunnen zu hassen ist das einzige wirkliche Band, das alle Nichtdeutschen verbindet.“

Auf womöglich fruchtbarere Art will der Historiker Jörg Friedrich nun mit seinem Buch „Der Brand“ im englischen Gewissen stöbern. Nicht vergessen, sondern genauer erinnern. Seine detailreiche, sinnlich aufwühlende Beschreibung der alliiierten Flächenbombardierungen könnte eine neue Erfahrungsdimension in die Schlacht der Vorurteile bringen. Erinnerung wird nachgeholt, die zwischen Sieger und Besiegten verdrängt worden war. So wie das Buch der Schuld der Deutschen ihre Erfahrung als Opfer an die Seite stellt, kann es für die Engländer die Selbsterfahrung als Opfer eines brutalen Überfalls um die der Täterrolle ergänzen, die notwendigerweise daraus erwuchs.

In England hat die Debatte über das Buch noch gar nicht begonnen. Was es an Diskussion gab – der erregte Churchill-Sohn ( „Wer hat den Krieg angefangen, wer fing mit Terrorbombardierungen an?“), der Historiker Correlli Barnett, der die alte Revisionismusfurcht aufbrachte – das waren die bekannten Reflexe. Erst einmal müsste das Anschauungsmaterial rezipiert werden, das Friedrich bereitstellt. Das geht erst nach Vorlage der englischen Übersetzung. Und: Die Engländer müssten auch nach Dingen graben wollen, die sie in ihren eigenen erst traumatischen, dann heldenhaft überhöhten Erfahrungen im „Blitz“ ertränkten. So aber könnte eine junge Generation wieder lernen, was ihre Großvatergeneration noch sehr wohl wusste: dass hinter den Nazis ihrer Kriegsfilme eine widersprüchliche Erfahrung steht und das es auch im gerechtesten Krieg nie ohne schuldhafte Verstrickung abgeht. Ein gutes Zeichen war der Bericht des Journalisten W.D.Deedes im „Daily Telegraph“: „Seit ich, kurz vor Kriegsende, mit dem 30. Korps in Bremen einzog und die Konsequenzen unserer Brandbomben sah, geht mir nicht mehr aus dem Kopf, was wir da gemacht haben“, schrieb der über 90-jährige Journalist.

Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Kriegsgeschichte. Und ein genaueres Wissen von den Traumata und Verletzungen der anderen Seite. Auf beiden Seiten. Es ist blauäugig so zu tun, als könnten Engländer nur durch den Blick auf das neue, demokratische (und ihnen in seinem Europa-Enthusiasmus schon wieder unheimliche) Deutschland von ihren Stereotypen geheilt werden. Wer als Deutscher eine wirkliche Vorstellung davon haben will, welch bleibenden Schock die reale Gefahr einer deutschen Invasion im Blitzkrieg von 1940 bei den Engländern auslöste, findet wenig bessere Orte dafür als das Londoner Imperial War Museum. Vielleicht werden sich die Engländer dort auch eines Tages über das informieren können, was geschah, als die Bomben aus den Flugzeugen fielen.

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