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Kultur: Jenseits von Nirgendwo

Dimiter Gotscheff murkst an der Volksbühne Koltès’ Drama „Kampf des Negers und der Hunde“ ab

Vor einiger Zeit hat der Regisseur Dimiter Gotscheff am Deutschen Theater vorgeführt, wie sich in einem sentimentalen Zeitstück aus den Fünfzigerjahren eine Tragödie von heute entdecken lässt: Aus Arthur Millers Angestellten-Höllenfahrt „Tod eines Handlungsreisenden“ machte Gotscheff eine antike Tragödie – eine Inszenierung von brutaler Klarheit, spröde, unsentimental und entschlackt von allem naturalistischen Milieukitsch. Eine Stück-Rettung: die Verwandlung von dramatischer Konfektionsware in ein Kunstwerk. Dass es auch umgekehrt geht, demonstriert der Regisseur jetzt an der Volksbühne. Aus einem düster raunenden Trendartikel der Achtzigerjahre macht er eine kleine Karnevalsparty, schön bunt und schön hohl. Eine Stück-Vernichtung: Bernard-Marie Koltès’ fiebrige Afrikaphantasie „Kampf des Negers und der Hunde“, einst als poetische Zivilisationskritik, als Abrechnung mit Eurozentrismus und westlicher Rationalität bestaunt, wird so rücksichts- wie rückstandslos entsorgt. Aus Koltès’ mysteriösen Geheimnisträgern sind charmant verwirrte Herrschaften aus dem Volksbühnenfundus geworden. Denen man ja immer gerne zuschaut, egal welches Stück sie gerade malträtieren.

Weil Koltès’ „Kampf des Negers und der Hunde“ angeblich in Afrika, in Wirklichkeit aber natürlich im Nirgendwo einer überreizten und ideologisch aufgerüsteten Phantasie spielt, ist die Bühne leer bis zum weißen Rundhorizont (Bühne: Katrin Brack). Nur ein unaufhörlich vom Schnürboden fallender Konfetti-Regen, eine somnambule Dauerberieselung bunter Blätter, stört die triste Leere. Wer hier landet, ist der Welt abhanden gekommen und hat wenig, woran er sich festhalten kann. Deshalb halten sich die Figuren vor allem an ihren hohlen Posen, ausgestellten Gesten und markigen bis hysterischen Selbstbehauptungen fest: Jeder für jeden ein Ausrufezeichen, das langsam aus der Fasson gerät.

Samuel Finzi, ein sehr markantes, aber etwas übellaunig unrasiertes Ausrufezeichen, spielt den Afrikaner Alboury. Und weil Gotscheff erfreulicherweise für Koltès’ Kult des Primitiven, der bei Afrikanern irgendeine verlorene animalische Unschuld sucht, nichts übrig hat, ist dieser schöne Wilde weder schön noch wild, sondern nur etwas verwirrt – eine Karnevalsfigur mit Perücke und Ray-Ban-Brille. Auch Koltès’ Klischee-Phantasie von der europamüden Weißen (Almut Zilcher), die bei der Begegnung mit dem archaischen Wilden via Beischlaf kulturelle Grenzen hinter sich lassen und alle europäischen Zivilisationskrankheiten von sich abschütteln will, wird eher mit einem mürrischen Grunzen als dem raunenden Koltès-Pathos abgehakt. Vollends in die Groteske zieht Gotscheff die Afrika-und-Archaik-Schwärmerei von Koltès, wenn Finzi einfach ein Gorilla-Kostüm anzieht und aus dem Off der Soundtrack von Kubricks „2001– Odyssee im Weltall“ kommt. Statt eines Knochens, bei Kubrick bekanntlich das erste Werkzeug und der Beginn der Zivilisation, fliegt dem grunzenden Affen nur ein gelber Bauhelm auf den Kopf.

Das ist das Schöne an dieser Inszenierung: Die liebevolle Vernichtung der nicht ganz unreaktionären Vitalismus-Klischees und Zivilisations-Ekel-Posen des Autors. Das Problem ist nur, dass ohne dieses ideologische Beiwerk nur noch ein reichlich platter Plot übrig bleibt. Der auch durch die lustigen Kabarett-Nümmerchen und grotesken Ausfälle, die die Volksbühnen-Künstler so virtuos und notfalls auch ohne jeden Regisseur beherrschen, nicht schlüssiger wird. Irgendwann muss ihnen bei den Proben klar geworden sein, dass sie das Stück jetzt gründlich genug dekonstruiert haben. Und dann wurde halt lässig auf Auto-Pilot gestellt – bis sich die Inszenierung in eine Abfolge mehr oder weniger sinnfreier, aber meistens recht amüsanter Nummern aufgelöst hatte.

Und so hat man jetzt das Vergnügen, zum Beispiel dem großartigen Milan Peschel dabei zuzusehen, dass er vor allem Milan Peschel spielt: nölig, penetrant, mürrisch und ziemlich komisch. Was zwar auch irgendwie zu der Figur passt, die er angeblich verkörpert, einen gewissen Cal, ein Ingenieur und Rassist, der einen schwarzen Arbeiter umgebracht hat, aber dieser Figurenbezug bleibt angenehm beiläufig. Wie Peschel unbeholfen die gerade angereiste Lèone anmacht, zum Beispiel indem er ihr seine gesammelten Werke Henry Millers zeigen will – „Henry Miller, versteh´ste, Miller, der hat mich echt befreit, wenn du verstehst, was ich meine“ –, das ist so komisch wie leicht eklig und könnte genau so in jeder anderen Volksbühnen-Inszenierung auch stattfinden. Wolfram Koch spielt Lèones impotenten Verlobten Horn – und er spielt ihn hinreißend. Vor allem wenn er sich, zwecks Völkerverständigung ein Baströckchen zum Jackett anzieht. Dann sieht er aus, wie man sich Koltès vorstellt: Ein europäischer Intellektueller, der so gern ein Wilder wäre.

Wieder heute sowie am 23. und 28. November, 19.30 Uhr.

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