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Kultur: Jeremy Rifkin im Interview: Wer hat die Macht in der neuen Biotech-Welt?

Jeremy Rifkin wurde wegen seiner Kritik an der Gen-Technik schon in den 70er Jahren vom Magazin "Time" als "bestgehasster Mann der Wissenschaft" bezeichnet. Schon 1977 hatte er eine Sitzung der amerikanischen Akademie der Wissenschaften gestürmt und "Wir lassen uns nicht klonen!

Jeremy Rifkin wurde wegen seiner Kritik an der Gen-Technik schon in den 70er Jahren vom Magazin "Time" als "bestgehasster Mann der Wissenschaft" bezeichnet. Schon 1977 hatte er eine Sitzung der amerikanischen Akademie der Wissenschaften gestürmt und "Wir lassen uns nicht klonen!" gerufen. Seitdem hat erJeremy Rifkin 14 Bücher geschrieben, Umweltgruppen und Staatschefs beraten., unzählige Prozesse gegen Behörden und Konzerne geführt und Amerikas religiöse Führer zur Verabschiedung einer Petition gegen Embryonenforschung und die Patentierung von Klonen mobilisiert. Rifkinder in Europa mehr Beachtung findet als in den USA, unterrichtet an der Wharton-School undleitet die "Foundation on Economic Trends" in Washington. Sein jüngstes Buch "Access. Das Verschwinden des Eigentums" ist im Campus Verlag erschienen.

Die US-Regierung hat kürzlich Richtlinien zur Embryonenforschung verabschiedet. Staatliche Gelder gibt es nur für Experimente, bei denen nicht eigens für die Wissenschaft gezüchtete Föten benutzt werden. Reicht Ihnen das?

Und in Großbritannien werden Embryonen geklont und patentiert. Abtreibungsgegner wie -befürworter sind entsetzt, dass zwei Regierungen den Unternehmen jetzt das Recht einräumen, menschliche Embryonen zu besitzen - nach einer Definition von Besitz, die eigentlich als längst überwunden galt. Dies öffnet das Tor zu einer Ära der kommerziellen Eugenik. In Deutschland denken viele dabei an die Nazizeit. Aber die neue Eugenik ist viel weicher, sie ist banal und von Märkten angeschoben. Es gibt keine staatliche Verschwörung zum Bösen, es gibt Kunden und Anbieter.

Genügt das Interesse von Eltern, gesunde Kinder haben zu wollen, als legitimes Argument für die Biotechnologie?

Wir sind zugleich erschüttert und fasziniert von der Möglichkeit, unseren Nachwuchs zu konstruieren. Eltern hatten stets eine soziale Verantwortung für ihr Kind. Jetzt bekommen sie die biologische Verantwortung für ein werdendes Kind dazu. Das beidet eine grundsätzliche Änderung des Verhältnisses zwischen Kindern und Eltern. Eltern werden zu Architekten; Kinder werden das ultimative Einkaufserlebnis in der postmodernen Welt. Es geht nicht mehr um Gen-Therapie, sondern um Gen-Ingenieurwesen. Das Opfer dieser Entwicklung wird das Prinzip des Mitgefühls, der Einfühlung, der Nächstenliebe sein. In den USA werden schon heute Mütter ins Gefängnis geworfen, die während der Schwangerschaft trinken oder Kokain nehmen - wegen Kindesmissbrauchs im Bauch. Werden unsere Gesellschaften in 25 Jahren toleranter sein? Werden wir es Eltern verzeihen, wenn sie aus Unkenntnis, Armut oder aus religiösen Gründen darauf verzichtet haben, der Gesellschaft ein angeblich behindertes Kind, und das sage ich mit dicken Anführungszeichen, zu ersparen?

Rund 3000 Krankheiten werden durch jeweils ein einziges Gen ausgelöst. Sollte man diese Gene nicht ausrotten?

Wir wissen erstens nicht, welche dieser Gene gleichzeitig vor einer anderen Krankheit schützen. Zweitens ist die Choreografie des Zusammenwirkens von Genen und Umwelt viel komplizierter, als wir immer denken. Ich bin kein Fortschrittsgegner. Nichts läuft falsch, wenn wir mehr über unsere Gene lernen. Gene sind kein Rezept, sie sind die Zutaten. Natur und Umwelt wirken zusammen. Ich komme aus den 60er Jahren, da haben wir die Umwelt groß geschrieben und das Angeborene vernachlässigt. Jetzt ist das Pendel drastisch zum Biologismus zurück geschwungen. All das wäre lächerlich, wäre es nicht potentiell so gefährlich. Die Physik und die Chemie, die über Komplexitäten, Systeme und Beziehungen reden, sind viel weiter als die Molekularbiologie. Die amüsiert mich, weil sie behauptet, hypermodern zu sein. Doch sie benutzt ein altmodisches Instrumentarium des 19. Jahrhunderts mit primitiven, linearen Wirkungsketten. Ich befürworte Forschung, wenn die Ergebnisse nicht in einer reduktionistischen Weise verwendet werden.

Was ist die Alternative zum Reduktionismus, wenn man keinen fundamentalistischen Romantizismus will?

Im Bereich des Kommerziellen entspricht der Reduktionismus dem "hohen Pfad": Man wird krank, die Pharmaindustrie kuriert einen. Der "niedere Pfad" funktioniert anders: 70 Prozent unserer großen Krankheiten, Herz- und Kreislaufleiden, Krebs, Diabetes, kombinieren eine genetische Prädisposition mit Umwelteinflüssen. Tomaten gegen Prostata-Krebs, grüner Tee gegen Magenkrebs - die Magazine sind voll mit solchen Tipps. In zehn Jahren können wir mittels des Gen-Profils jeder Person und mit unserem Wissen über die Gene in den Nahrungsmitteln präzise sagen, was jemand essen sollte, um Risiken zu minimieren.

Ist das profitabel?

Damit ist viel mehr Geld zu machen als mit traditioneller Heilung. Ich bin aber gegen die maßlose Hysterie darüber, was Gene angeblich alles können.

Sie wollen eine weiche Gen-Gesellschaft? Ist die durchsetzbar?

Der "niedere Pfad" entspricht exakt den Sensibilitäten der jüngeren deutschen Generationen. Die 68er, die vom Mauerfall 1989 Geprägten und die ganz Jungen, die jetzt an die Unis kommen, werden den moralischen Kompass eichen, wie wir mit der Biotech-Revolution umgehen. Ich erwarte von diesen deutschen Generationen, dass sie diese Aufklärungsarbeit leisten. In Amerika ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass wir eine ähnliche Art von intellektueller Führung bekommen wie in Europa. Deutschland könnte angesichts seiner historischen Erfahrungen den Rahmen abgeben, um die richtigen Fragen zu stellen.

Wann werden wir den ersten Versuch erleben, ein menschliches Gen auszurotten, weil es, Sie würden sagen fälschlicherweise, als Krankheitserreger und nur als Krankheitserreger gilt?

In zwei oder drei Jahren.

Die Apokalypse kommt?

Niemand sollte in Panik verfallen. Aber die Europäer liegen richtig, wenn sie alarmiert sind. Die Debatte über genetisch modifizierte Nahrungsmittel hat am besten gezeigt, wie in Europa zwei Sensibilitäten zusammenkommen. Die Küche hat in Europa etwas mit Kultur zu tun. Das motiviert den Widerstand gegen das Agro-Business. Zweitens betont Europa die kultureller Diversität und kritisiert die Globalisierung. Beides zusammen hat eine soziale und politische Explosion ausgelöst. Wir in den USA haben Fast Food, wir haben keine Küche. In den USA ist nie begriffen worden, dass der Widerstand Europas gegen genmanipulierte Nahrung keine Frage der Reinheit und Gesundheit ist, sondern der Kultur.

Sie beziehen also gegen die Theoretiker des Dritten Weges Position, die einer weltweit gültigen Balance zwischen aufgeklärten Bürgern und unideologischen Dienstleister-Regierungen huldigen?

Die Dritten-Weg-Theoretiker, Clinton, Blair und vielleicht auch Schröder, arbeiten mit den falschen Prämissen. Die versuchen, eine gesunde Wirtschaft zu schaffen, statt eine gesunde Kultur und Gesellschaft zu schaffen. Der Dritte Weg betet nach, was die Klassiker des Kapitalismus und die Klassiker des Sozialismus gemeinsam behaupten: Die Wirtschaft ist die Basis, der Rest ist Überbau. Politik als das Öffentliche, Wirtschaft als etwas Privates und Kultur als Freizeitbeschäftigung nach Feierabend - dies ist ein völlig unzureichendes Schema. Wirtschaft gehorcht nicht essentiellen Werten, sondern Nützlichkeitsüberlegungen. Kultur im breiten Sinne - alles, was nicht kommerziell ist - ist das Element, ohne dass es kein Humankapital, keine Wirtschaft gäbe. Wie lange würde es Deutschland geben, wenn der dritte Sektor - Kultur, Sport, Kunst, Zivilgesellschaft, Vereine, Religion, Werte - komplett verschwunden wäre? Nicht einen Tag. Daran merkt man, dass Politik und Wirtschaft Hüllen sind, sekundäre Institutionen, die es dank der Gnade der Kultur gibt, die sie geschaffen hat. Diese Kultur ist von den sekundären Institutionen kolonialisiert worden und befreit sich jetzt allmählich. In diesen Zusammenhang gehören auch die WTO-Proteste, die Versuche, eine globale, kritisch-aktivistische Zivilgesellschaft zu schaffen. In Russland sieht man, was andernfalls kommt: die Kultur des Verbrechens, der Korruption, der Mafia als das, was das Vakuum einer siechenden Politik füllt.

Sie verlangen dem Bürger viel ab.

Das Tempo des Wandels ist so schnell geworden und die Resultate der Technologie sind so dramatisch, dass die menschlichen Entscheidungsspielräume radikal schrumpfen. Hier ist die Gefahr: Wer keine Zeit hat, zu reagieren, komplexe Wirklichkeiten wahrzunehmen, der flüchtet in Unterhaltung oder "Soundbites". Unsere Kommunikations-Instrumente sind mangelhaft. Dies ist eine meiner größten Sorgen.

Wer wird die Macht haben in der neuen Bio-Welt?

Kultur und Handel sind die neue Politik. Der Unterschied zwischen rechts und links wird weiter verschwimmen. Die zwei neuen Lager sind jenes der Kultur-Essentialisten, die alles Politische von vorgegebenen Kriterien ableiten, Region oder Religion oder Ethnie beispielsweise, und jenes der Kommerzialisten, die jedes Verhältnis und jede Maßnahme ökonomistisch interpretieren, rein nach globalen Nutzen-Maximierungs-Strategien.

Die US-Regierung hat kürzlich Richtlinien zur

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