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Kultur: Jetzt mal im Ernst

Eine

von Marius Meller

Wir sind selbst schuld, wir Kulturjournalisten. Als vor drei Jahren die Leipziger Buchmesse mit dem MDR eine groteske DeutscheBücherpreis-TV-Gala nach dem Oscar- Schema auf die Beine stellte – mit allerlei hüpfenden Show-Sternchen, mit dem unendlich müden Frank Elstner, mit viel waberndem Kunstnebel im Disko-Licht und nicht zuletzt dem „Bücherbutt“, der bronzenen Sechs-Kilo-Trophäe, gemodelt von Doppelbegabung Günter Grass –, da stürzten wir uns wie die Aasgeier auf diesen perfekten Glossenstoff. Die Anbiederung an einen vermeintlichen Massengeschmack lag nach drei Jahren journalistischem Dauerbeschuss in den letzten Zuckungen, als auch noch die Anekdote die Runde machte, dass Christa Wolf ihren Lebenswerk-Bücherbutt jahrelang im Kofferraum verwahrte.

So mancher wünschte sich wohl bei der allzu nüchternen Eröffnungsveranstaltung der Leipziger Buchmesse am Mittwochabend die Aussicht auf das euphorisierende Negativerlebnis zurück. Respektabel ist zwar, dass der wichtigste Leipziger Literaturpreis, der „Buchpreis zur Europäischen Verständigung“ nun gleich zu Anfang verliehen wird und nicht am letztes Messetag hinterhertröpfelt, wenn die meisten Kulturschaffenden schon zu Hause ihren Messerausch ausschlafen. Respektabel war auch die Dankesrede der Preisträgerin Slavenka Draculic über ihr dialektisches Verhältnis zur deutschen Kultur, und respektabel war die wackere Laudatio des ehemaligen EU-Balkan-Koordinators Hans Koschnick, die noch einmal den guten, alten, vergehenden sozialdemokratischen Redestil Helmut Schmidtscher Prägung anklingen ließ. Aber letztlich wirkten die weit über zwei Stunden Festreden zermürbender, als es das Gala-Tamtam je war.

Die neue Ernsthaftigkeit im Messedesign scheint ganz neu eingeübt werden zu müssen nach der geschmacklichen Entgrenzung der Bücherbutt- Jahre. Für herzliche Lacher sorgte die kulturelle Weisheit des sächsischen Ministerpräsidenten Milbradt: „Viele Missverständnisse fangen schon mit der Sprache an ...“. Die Seneca-Inschrift auf der Orgelempore des Gewandhauses Res severa verum gaudium („Die wahre Freude sind die ernsten Dinge“), wo ein begnadeter, zottelhaariger Organist namens Michael Schönheit tapfer Bachs Toccata intonierte, harrt jedoch noch ihrer Umsetzung.

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