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Jimmie Durham, Still Life with Architectural Elements  (2000), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, 2015

© Neuer Berliner Kunstverein/ Jens Ziehe

Jimmie Durham-Ausstellung: "Here at the Center": Der Rhythmus der Welt

In der Ausstellung "Here at the Center" von Jimmie Durham in Berlin sind zart arrangierte Reisefundstücke zu sehen. Zur gleichen Zeit wurde in Kassel sein Documenta-Apfelbaum von Unbekannten zerstört.

Was haben ein Abflusssieb, eine Garnrolle und ein Vorhang-Ring gemeinsam? Alle sind rund mit einem Loch. Wie passen Hufeisen, Winkeleisen und Uhrarmband zusammen? Sie bestehen aus Metall. Warum ist die zerbrochene Brille mit dem Reisewecker verwandt? Beide sind rechteckig. In einer Vitrine versammelt der amerikanische Künstler Jimmie Durham Objekte von unterschiedlicher Form und Konsistenz. Die ausrangierten Gegenstände entwickeln in der lakonischen Ordnung ihr eigenes Versmaß.

Jimmie Durham, 1940 als Cherokee in Arkansas geboren, scheint die Dinge nicht zu suchen, sie finden ihn. Der passionierte Reisende sammelt Bruchstücke am Wegesrand und komponiert daraus visuelle Gedichte von feinsinnigem Humor. Die Ausstellung „Here at the Center“ in den zartlila gestrichenen Räumen des Neuen Berliner Kunstvereins zeigt, wie sehr sich Durhams Arbeiten um den inneren Rhythmus der Welt drehen, um Klang, Struktur, Melodie. Fast wirkt es, als würde der Künstler sein Werk lauschend geschehen lassen.

Herzschlag der Menschheit

So zurückgelehnt blieb Durham nicht immer. Als politischer Aktivist setzte er sich Mitte der siebziger Jahre bei den Vereinten Nationen für die Rechte der indigenen Völker ein. Seit 1994 lebt er in Europa, in Dublin, Marseille, Rom oder Berlin. Seinem beweglichen Werk sind die verträumten Installationen von Marcel Broodthaers näher als der Politkunst.

Begleitend zur Ausstellung ist ein mild ironisches Künstlerbuch erschienen, das Jimmie Durham vor europäischen Institutionen zeigt, vor dem Europaparlament in Brüssel oder dem Europa-Center in Berlin. „Here at the Center“ – der Titel der Ausstellung impliziert, dass sich mit jedem Hier auch das Zentrum verschiebt. Der föderale Gedanke Europas entspricht ganz Durhams eigener Biografie. Im ebenmäßigen Rhythmus der Bewegung findet der Nomade seine Heimat. Da erinnert Durhams Grundmelodie an die Songlines des Reiseschriftstellers Bruce Chatwin.

In einem Video singt der 75-Jährige mit Samtstimme die Lieder seiner Kindheit. In dem Film „Grunewald“, den Durham im Jahr 2006 mit seiner Frau, der mexikanischen Fotografin Maria Thereza Alves drehte, erkundet er die Klänge des Waldes. Helfer schlagen Hölzer, fegen das Laub des Waldbodens, lassen Nägel über ein hölzernes Tablett rollen. Ein Stein platscht ins Wasser. Archaische Klänge entstehen, wie sie Musiker der Frühzeit erzeugt haben mögen. Die Wald- und Wiegenlieder führen direkt an den Herzschlag der Menschheit, ins Zentrum des Hier. Doch bei aller Gelassenheit existiert in Durhams Werk auch Gewalt. Für das „Klangstück mit Kugel“ sind die Besucher aufgefordert, eine Kugel auf den Stein an der gegenüberliegenden Wand zu schießen. Der Knall beendet die Melodie.

Maskenmann. Jimmie Durham in einem Selbstporträt, 2015.
Maskenmann. Jimmie Durham in einem Selbstporträt, 2015.

©  NBK/Jens Ziehe

Erweckung zum Leben

Gewalt, allerdings der zerstörerischen Natur, hat jetzt ein anderes Werk Jimmie Durhams erfahren, das sich zwar nicht in der Berliner Ausstellung befindet, aber seinen Ruf als wichtiger Künstler der aktuellen Szene geprägt hat. 2011 pflanzte er zusammen mit der Documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev einen Korbiniansapfelbaum in der Karlsaue von Kassel, der dort dauerhaft bleiben sollte. Der inzwischen knapp drei Meter hohe Baum fiel nun Vandalen zum Opfer, die offensichtlich systematisch vorgegangen sind. Laut Auskunft der Gärtner der Museumslandschaft Hessen Kassel haben die Täter das Gehölz komplett aus dem Boden gerissen und sämtliche Äste abgebrochen.

Die gezielte Zerstörung deutet darauf hin, dass sich der Angriff gegen die alle fünf Jahre stattfindende Kasseler Weltkunstschau richtet, deren nächste Ausgabe 2017 sein wird. Die Attacke gegen Durhams Werk ist auch deshalb bedrückend, weil die seltene Sorte Korbiniansapfel von einem Häftling im Konzentrationslager Dachau gezüchtet wurde – als Saat des Lebens, die den Naziterror überstand. Die Documenta aber hatte schon bei der Pflanzung vor vier Jahren vorgesorgt und Ersatzgehölz angeschafft. Im Herbst soll nun das gleichalte Bäumchen nachgepflanzt werden.

Das Motiv einer Wiederkehr, einer Erweckung zum Leben findet sich auch in Durhams aktueller Ausstellung. Für die schönste Arbeit im Neuen Berliner Kunstverein setzt er ein Stillleben in Bewegung. Auf einem Tisch ruhen schwere Trauben, Zucchini, Melonen, alle aus Stein. Ein Film projiziert die Bilder der echten Früchte wie ein Fresko an die Wand. Die Bewegung erfüllt die nature morte mit Leben.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, bis 2. August, Di bis So 12–18 Uhr, Do 12-–20 Uhr.

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