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Jindřich Štreit: Arnoltice, 1985.

© Jindrich Streit, Courtey Buchkunst Berlin

Jindřich Štreit und Harald Hauswald: Alltagsfotografien aus zwei Diktaturen

Kartoffelberge, Suff und Fahnen. Eine Berliner Ausstellung vereint Szenen aus Tschechien und der DDR, die die beiden Fotografen eingefangen haben.

Unendlich groß ist der Kartoffelberg, auf dem vier Frauen und ein Mann lachend sitzen, die fünfte Frau steht selbstbewusst vor ihnen und nimmt einen kräftigen Schluck Schnaps aus der Flasche. Alle sind Mitarbeiter einer Genossenschaft in Arnoltice in Böhmen 1985, sozialistischer Alltag auf dem Land, aber nicht so, wie die Partei ihn gerne gesehen hat.

Jindřich Štreit, einer der bedeutendsten Fotografen Tschechiens, zeigt seine Szenen des Landlebens in Böhmen und Nordmähren in der Ausstellung „Harald Hauswald & Jindřich. Dissidentenball – Photography under Surveillance“ in der Galerie Buchkunst Berlin.

Als der Dorflehrer aus Sovinec 1980 die Vorstandssitzung der Genossenschaft vor Fahne und Foto des Staatspräsidenten fotografierte, bei der weniger Mitglieder als Vorstände anwesend waren, und das Foto „Überzahl“ in einer Ausstellung nannte, fühlte sich der Staat verhöhnt. Štreit wurde zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, seine Fotos und Negative von der Geheimpolizei beschlagnahmt. Zu groß war der Widerspruch zum sozialistischen Wunschbild. Als Dorflehrer durfte er auch nicht mehr arbeiten.

Aber Štreit fotografierte einfach weiter, die Widersprüche des Alltags, den Alkoholismus, die Perspektivlosigkeit, die Trostlosigkeit, aber auch das kleine Glück, das die Menschen empfanden, sei es über eine Katze oder einen Film im Fernsehen. Štreit kannte die Menschen, die er fotografierte, sie vertrauten ihm, daher sind seine Fotos so nahe bei den Menschen. Hier ist nichts inszeniert, es sind Dokumente einer untergegangenen Epoche.

Jindřich Štreit: Arnoltice, 1990.
Jindřich Štreit: Arnoltice, 1990.

© Jindrich Streit, Courtey Buchkunst Berlin

Nach der samtenen Revolution wurde Štreit sofort rehabilitiert, die von der Geheimpolizei ordentlich sortierten und archivierten Fotos wurden ihm zurückgegeben. Seitdem hat er mehr als 1600 Ausstellungen weltweit organisiert.

Harald Hauswald: „Berliner Bären“ am Ende der 1. Mai Demonstration 1987 am Berliner Alexanderplatz.
Harald Hauswald: „Berliner Bären“ am Ende der 1. Mai Demonstration 1987 am Berliner Alexanderplatz.

© Courtey Buchkunst Berlin/Harald Hauswald/Ostkreuz

Den Alltag im Sozialismus hat auch Harald Hauswald in den 80er Jahren dokumentiert, viele seiner Bilder sind zu Ikonen des DDR-Alltags geworden, etwa die drei starr vor sich hinschauenden Männer in der U-Bahn oder die Fahnenträger, die im stürmischen Regen am 1. Mai 1987 das Weite suchen – „Fahnenflucht“. Noch nie gezeigt wurden jedoch die tanzenden Berliner Bären vor dem Haus des Lehrers, ebenfalls im Regen des 1. Mai 1987.

Gegensätze prallen aufeinander, so hängt das Foto von Bauarbeitern im Stadion der Weltjugend neben dem einer alternativen Veranstaltung im Hirschhof in Prenzlauer Berg. Ein Skin schaut neidisch auf ein schmusendes Punk-Pärchen in der Lottumstraße. Gespenstisch dagegen das Bild eines Regierungskonvois in einer menschenleeren Straße. Beide Fotografen schauten nicht einfach hinter die Kulissen, sondern zeigten eine Realität, die die Oberen nicht wahrhaben wollten.

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