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Ankunft. Jo Baer beim Aufbau ihrer Ausstellung in der Galerie Barbara Thumm.

© Doris Spiekermann-Klaas

Jo Baer: Für immer Kind

Vom Minimalismus der Sechziger zur Malerei: Die Galerie Thumm entdeckt das Werk Jo Baers.

Nach dem Rechteck kommt das Nichts. So hat es Jo Baer vor vierzig Jahren gesehen und beschlossen, den Minimalismus in ihrem Werk abzuschaffen. Obwohl sie in New York just als Protagonistin jener neuen Richtung gefeiert wurde, die das Serielle zum Dogma erhob.

Jo Baer aber fühlte sich im strengen Raster zunehmend unaufgehoben. „Wo der Autor immer mehr hinter dem Werk zurücktritt, muss er in letzter Konsequenz verschwinden“, meint die Künstlerin, während sie in der Berliner Galerie Thumm Bilder jüngeren Datums aufrollt. Baer wollte sichtbar bleiben, aus dem Gegenständlichen schöpfen und Bilder malen wie „Shrine of the Piggies“ (55 000 Euro), das eine öffentliche Toilette zeigt. Darüber hat sie in feinen Linien menschliche Innereien und ein männliches Geschlecht gezeichnet. Eine verwirrend mehrdeutige Montage, fernab von jedem minimalistischen Prinzip. Und doch ist die 1929 in Seattle Geborene durch eine Schule gegangen, in der das Motiv bloß noch Vehikel für die Botschaften der Künstlerin ist. Mit der Realität haben ihre neun bei Thumm ausgestellten Leinwände nichts gemein. Auch wenn sie voller konkreter Details scheinen.

„The Old Year“ (50 000 Euro) am Eingang der Galerie erzählt dennoch nicht von einem aus dem Lot geratenen Rechteck zwischen dunklen Kreisen. Sondern von Baers eigener Zeit des Übergangs. Sie gipfelte 1983 in dem Aufsatz „I am no longer an Abstract Artist“ in der Zeitschrift Art in America. Da hatte Jo Baer schon ein Jahrzehnt damit verbracht, sich ihre künstlerische Sprache zurückzuerobern – erst in New York, später in Irland. Das Gemälde ist an beiden Orten entstanden und bewahrt das Transitorische dieser Situation. Ein Versuch, mit vorsichtig gesetzten Farben und Formen. Wie verblasst wirken Baers geometrische Zeichen, die die Rückkehr des Figurativen in ihrem Werk markieren. Dafür ist der Keilrahmen über zehn Zentimeter dick und macht es fast skulptural. Ein Bild wie ein Schaukasten.

Von hier aus entwickeln sich die Sujets der großen Leinwände. Mit nackten Frauen, Tänzern, einer Karawane aus winzigen Kamelen, Lederstiefeln oder Handabdrücken, wie sie der Künstlerin als prähistorische Malerei begegnet sind. Die Eindrücke kommen von überall, selbst vor sentimentalen Details wie Songtexten von Bob Dylan, tanzenden Tieren oder weichen Körpersilhouetten schreckt Jo Baer nicht zurück: „Meine Arbeit ist das Sammeln und Sortieren.“

Ihre Bilder bringen die Dinge in neue Zusammenhänge – auch wenn sich die Verhältnisse auf den ersten Blick kaum klären lassen. „Fusion Art“, der Begriff charakterisiere ihre Vorgehensweise, meint die inzwischen 80-Jährige, die schon lange in Amsterdam lebt. Das definiere ihre Malerei, die statt künstlicher Klarheit nun Stimmungen transportieren will: Hier die Atmosphäre viriler Gewalt, dort ein erotischer Moment.

Manches fängt sie in farbkräftigen Formaten ein, anderes wirkt zart und skizzenhaft, obwohl die Leinwände eine Fläche von drei Quadratmetern locker überschreiten. „Dream Work“ ist ein anderer Begriff, mit dem die agile Jo Baer in Jeans und Krokostiefeln ihre Absichten beschreibt, und vielleicht braucht es die vielen Jahrzehnte, bis man zu echter Radikalität gelangt. Sich nicht den Moden unterwirft, keine formalen Fluchten nötig hat. Sondern so malt, als habe man das Thema eben erst für sich entdeckt.

Galerie Barbara Thumm, Markgrafenstr. 68; bis 26.6., Di–Sa 11–18 Uhr.

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