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Bundespräsident Gauck mit dem Vorsitzenden des deutschen Historkikerverbandes, Martin Schulze Wessel (l.) und dem Vorsitzenden des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands, Ulrich Bongermann, sowie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (r.) bei der Eröffnung des 50. Deutschen Historikertages in der Lokhalle in Göttingen.

© dpa

Joachim Gauck beim Deutschen Historikertag: "Geschichte ist gestaltbar"

Die Rede des Bundespräsidenten beim 50. Deutschen Historikertag in Göttingen war mit Spannung erwartet worden: Joachim Gauck sprach im Weltkriegs-Gedenkjahr über Sieger und Verlierer der Geschichte.

Zum 50. Mal findet der Deutsche Historikertag statt, mit rund 3500 Teilnehmern. Und das im doppelten Gedenkjahr 2014, dem Jahr der 100. Wiederkehr der Entfesselung des Ersten Weltkriegs wie der 50. des Zweiten. Man könnte darüber sinnieren, ob die Geschichtswissenschaft ganz unter dem Bann von Krieg und Kriegsfolgen  stehen muss. Das Motto des diesjährigen Historikertages in Göttingen umgeht allerdings die Rhetorik von Sieg und Niederlage und widmet sich stattdessen dem Thema „Gewinner und Verlierer“, als handele es sich um ein Spiel.
Darauf hat Joachim Gauck sich nicht eingelassen. Der Bundespräsident wäre nicht der gelernte Pfarrer,  hätte er in den Mittelpunkt seiner Eröffnungsansprache vom Dienstagabend nicht Leid und Leiden gerückt. Dabei musste er nicht, in diesem Jahr der Vergegenwärtigung unmittelbaren in Gestalt von Verwundung, Verstümmelung und Tod auf den Schlachtfeldern von 14/18, ein weiteres Mal die  Zahlen der Toten und Verwundeten aufrufen.

Den Verlierern ihre Würde wieder geben: Gauck sagt, auch das ist Aufgabe der Historiker

Überhaupt musste er sich nicht an die kalendarische Dramaturgie halten. Ihm ging es vielmehr darum, auf das Danach einzugehen, das jedem Sieg und jeder Niederlage unweigerlich folgt. Darauf, dass Verlierer zu Gewinnern werden können, was er am Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebenen der Zeit nach 1945 beleuchtete. Ihm ging es um die Hoffnung, die in jeder Niederlage glimmen kann. Und so verwundert nicht, dass Pfarrer Gauck auf die Erzählung vom „absoluten Verlierer“ zu sprechen kam: die „mythosgleiche Geschichte des Jesus von Nazareth“ mit ihrem „denkbar größten Umschlag von Niederlage in Sieg“. Das ist nun gerade das Gegenteil der „Opfer, die keine neue Zukunft mehr hatten“, jener von Völkermord und Holocaust, Hungersnöten und Epidemien; nicht zuletzt derer, „die ein metaphysischer Trost nicht erreicht“.

Trost ist die Aufgabe der Geschichtsschreibung nicht; jedenfalls nicht als unmittelbare Linderung des Leidens. Gauck nahm die Historiker dennoch in die Pflicht. Sie könne den Verlierern „keinen Sinn zusprechen“, aber doch „ihre Würde lassen oder wieder geben“. Und von da ist es nicht weit zur  Hoffnung, die sich auf die Unabgeschlossenheit von Geschichte gründet. Sein eigener  und seiner Mitbürger Lebensweg in der DDR   – Gauck hat es immer wieder betont – „bleibt ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass Geschichte selbst in Situationen, die unabänderlich scheinen, beeinflussbar und gestaltbar ist“.

Wenn es denn sein muss, dann auf der verlorenen Seite zu stehen, aber nicht auf der falschen – das ist gewissermaßen der Gaucksche Imperativ. Die Teilnehmer des  Historikertages werden sich davon nur insoweit angesprochen fühlen, als es ihr Berufsethos, zu zeigen, wie es eigentlich gewesen ist, nicht untergräbt. Doch über der Kenntnis der Vergangenheit die Zukunft nicht aus den Augen zu verlieren, deren Gestaltung unser aller Aufgabe ist, das ist – wenn man Gaucks Rede so verkürzen darf – ein starkes Wort. Und ein gewichtiger Auftrag an eine Wissenschaft, die ebenso wertfrei wie verantwortungsbewusst zu sein hat, gerade weil mit der Darstellung von Geschichte schon so viel Schindluder getrieben wurde.

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