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Gespenstern trotzen. Die polnische Schriftstellerin Joanna Bator.

© A. Andrzej/Suhrkamp Verlag

Joanna Bator und ihr moderner Schauerroman: Katzenfrauen, Katzenfresser

Die Polin Joanna Bator schreibt mit „Dunkel, fast Nacht“ über die untrennbare Verstrickung polnischer und deutscher Geschichte.

Wenn Romane grausame Welten eröffnen, könnte man sich bei der Lektüre damit trösten, dass es sich nun einmal um Fiktion handelt. Ganz so, wie verängstigten Kindern ins Bewusstsein gerufen wird, die gruseligen Dinge in Märchen seien ja gar nicht wirklich geschehen. Eine andere Distanzierungsmöglichkeit bestünde darin, sich zu sagen, dass die beschriebenen Welten weit weg sind, so weit weg wie die Horrorszenarien von Cormac McCarthy.

Nun ist Polen aber Deutschlands unmittelbarer Nachbar, und die Provinz, die wieder einmal die Szenerie für einen im doppelten Sinn fantastischen Roman von Joanna Bator liefert – nur dass er diesmal eine Härte von McCarthyschen oder, um einen näherliegenden Vergleich zu wählen, Jelinekschen Dimensionen erreicht.

„Dunkel, fast Nacht“ (Ciemno, prawie noc) heißt die jetzt auf Deutsch erscheinende Ausgabe des im Original 2012 erschienen Romans. In ihm klingt die Schauerromantik des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts nach und verwandelt sich in etwas gegenwärtig Alarmierendes. Joanna Bator schildert Dunkles und Bedrohliches. Mehrere Kinder verschwinden spurlos, die Ermittlungen verlaufen im Sand, und die aufgeheizte Stimmung in dem kleinen Städtchen Walbrzych droht zu kippen.

Das südwestlich von Breslau gelegene Walbrzych mit seinen Plattenbausiedlungen, in dem die Autorin 1968 geboren wurde, bildete bereits den Schauplatz ihrer großen Romane „Sandberg“ und „Wolkenfern“. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gehörte der Bergbauort zu Deutschland und hieß Waldenburg. Die untrennbare Verstrickung polnischer und deutscher Geschichte spielt auch in „Dunkel, fast Nacht“ eine zentrale Rolle.

Die Tristesse des schlesischen Landstrichs erinnert von Ferne an diejenige in Andrzej Stasiuks neuem Roman „Der Osten“. Während dieser allerdings auf eine herkömmliche Handlung verzichtet, könnte sie bei bei Bator nicht nachvollziehbarer sein. Ihre Protagonistin Alicja Tabor, die wie ihre Erfinderin aus Walbrzych stammt und in Breslau studierte, liest parallel zum Geschehen Matthew G. Lewis’ Roman „The Monk“ aus dem Jahr 1796, einen Klassiker der Schwarzen Romantik. So verwickelt, nebulös und unübersichtlich die Begebenheiten zunächst wirken – am Ende laufen doch alle Fäden zusammen.

Tabor, Journalistin von Beruf, kehrt in ihre Heimat zurück, um über das ungeklärte Verschwinden der Kinder zu berichten. Sie erscheint prädestiniert für krude Themen. Ihre letzte Publikation handelte von einer Teenagerin, die ihr Neugeborenes getötet, in einem Rücksack verstaut und mit in eine Disko genommen hatte.

Vor allem geht es ihr ums Verstehen

Die Heimkehr bedeutet für sie nicht nur eine Konfrontation mit mysteriösen Ereignissen – mit bizarren „Katzenfrauen“, also Quasi-Hexen, die durch die umliegenden Wälder spuken, mit als „Katzenfressern“ beschimpften „Zigeunern“, denen der Kindsraub zuallererst angelastet wird, mit einer zweifelhaften Sekte, die menschliche Knochen als Glücksbringer verhökert (darunter angeblich diejenigen Karol Wojtylas), und nicht zuletzt mit der Legende einer verfluchten Prinzessin, die hinter all dem stecken könnte. Auch die Vergangenheit holt Alicja ein, der Suizid ihrer Schwester Ewa, ihre vermeintlich tote Mutter, die sie als Kinder missbraucht hatte, die aber selbst Opfer brutalen Missbrauchs durch russische Soldaten wurde.

Joanna Bator, die gerade die letzten Tage ihres Berliner Jahres als Stipendiatin des DAAD-Künstlerprogramms in Schöneberg verbringt, will niemanden denunzieren. Ihr Verfahren, den Motiven und Geschichten von Opfern und Tätern mit großer Empathie nachzuspüren und sie nicht nur abstoßend, sondern auch berührend darzustellen, ist, wenn man so will, durch und durch humanistisch. Denn vor allem geht es ihr ums Verstehen, wie noch die schrecklichsten Dinge geschehen konnten und weiterhin geschehen – und zwar nicht allein aufgrund psychologischer, sondern auch gesellschaftlich-historischer Konstellationen.

Beeindruckend ist, wie kunstfertig Bator die vielen kaleidoskopischen Elemente ihres Romans montiert, für den sie 2013 den Nike-Preis, Polens wichtigste literarische Auszeichnung, erhielt. Zu Anleihen aus der Schauerromantik und dem Kriminalroman kommt ein Strang, der die Hetze in Internetforen literarisiert. Raffiniert verwebt Joanna Bator Alicjas Befragungen der Angehörigen der verschwundenen Kinder mit den Erzählungen unterschiedlicher Romanfiguren, von denen die transsexuelle Bibliothekarin Celestyna nur die schillerndste, ihr Liebhaber Marcin die geheimnisvollste ist. Hinzu kommen Alicjas eigene Erinnerungen an die Gespenster der Vergangenheit, bis sie den Tätern allmählich auf die Spur kommt.

Das Motto stammt übrigens von Carlos Ruiz Zafón und lautet: „Gott steckt in den Details, aber der Teufel ist überall.“ Für Polen scheint er eine ganz besondere Leidenschaft entwickelt zu haben.

Joanna Bator: Dunkel, fast Nacht. Roman. Aus dem Polnischen von Lisa Palmes, Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 511 Seiten, 24,95 €. – Die Autorin stellt ihren Roman an diesem Dienstag, den 23.2., um 20 Uhr in der Autorenbuchhandlung am Savignyplatz vor. Es moderiert Lothar Müller, die deutsche Lesung übernimmt die Schauspielerin Maren Eggert.

Tobias Schwartz

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