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Joanna Hoggs Familienfilm „Archipelago“: Inseldasein

Joanna Hoggs Familienfilm „Archipelago“.

Archipelago, das sind die Inseln im Kanal mit dem vielen Wind und der Anmutung von tropischen Gärten, manchmal, 45 Kilometer vor Lands End. Eine davon heißt Tresco, hier hat Edwards Familie früher die Ferien verbracht, damals war er klein, jetzt ist er an jenem kritischen Punkt des Erwachsenwerdens, da aus einem Menschen etwas werden muss. Er ist fast 30. Edward (Tom Hiddleston) hat seinen Job in London gekündigt und geht für ein Jahr als Freiwilliger nach Afrika. Deshalb hat seine Familie den Ausflug beschlossen. Zum Abschiednehmen, sagt sie. Zur Verhinderung des Abschiednehmens?

Ich möchte ein ordentliches Bild, aber es soll zufällig entstehen, hat Francis Bacon über das Ideal seiner Malerei gesagt. Genauso möchte die britische Regisseurin Joanna Hogg auch ihre Filme. „Archipelago“ ist ihr zweiter. Vielleicht ist es die schwierigste Kunstform überhaupt, einen ganz zufälligen Film zu machen, der doch alle Notwendigkeit in sich trägt. Jedes Bild hier, jeder Satz scheint ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sich an seiner Stelle auch ein anderes Bild, ein anderer Satz befinden könnte. Und doch weben sie uns ein in eine Folgerichtigkeit des Nichtfolgerichtigen. Man nennt das auch Faszination. Da wir uns in der upper class befinden, ist das dringend zu Sagende im mehr oder weniger Ungesagten aufzufinden, während das, was gesagt wird, auch nicht hätte gesagt werden müssen.

Eine gefühlte Viertelstunde währt das Platznehmen der Familie im Inselrestaurant. Man wird viel Geld ausgeben, also ist es wichtig, den besten Tisch zu wählen und jeden so zu platzieren, dass er zufriedener nicht sein könnte. Darum geht es: Alle sollen sich so wohl wie möglich fühlen. Dass die Wahl eines Tischs in einem Restaurant eine Aufgabe ist, an der man nur scheitern kann, ist nur eine Lehre des Films. Die Kamera verharrt in gemessener Distanz. Man bekommt gute Gruppenbilder auf diese Art; wenn Joanna Hoeg dazu im Gegenlicht dreht und alle zu Schemen werden lässt, ist klar, dass auch eine Familie nur der Spezialfall eines Archipels ist. Wie gern würde vielleicht auch diese kleine Insel auswandern, immer tiefer in den Atlantik hinein. Aber sie bleibt.Nur Edward wird den Familienarchipel hinter sich lassen.

„Archipelago“ ist eine Meditation, eine filmische Disputation für vier Personen, Vogelstimmen und viel Wind über Zufall und Notwendigkeit im Leben. Ein schöner, merkwürdiger Film für alle, die weder an Zufälle noch an Notwendigkeiten glauben und doch wissen, dass alles im Leben von ihnen abhängt. Außerdem denkt dieser Film über die Rolle der Malerei als Möglichkeit nach, beide zu zähmen. Kleiner Tipp für alle, die gerade Familieneintrachtsgipfeltreffen planen. Keine Köchin mitnehmen! Hätten alle zusammen gekocht, es wäre eine andere Familie geworden. Und ein anderer Ausflug. Ein anderer Film wohl auch. Kerstin Decker

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