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Kultur: Joe Zawinul im Gespräch: "Ich versuche nicht. Ich mache"

"Joe Zawinul, geboren 1932 in der Wiener Vorstadt, zählt zu den wenigen europäischen Jazzmusikern, die den Jazz verändert haben." Mit diesem oder einem ähnlichen Satz beginnen in der Regel die Huldigungen, die das Werk dieses Jazz-Pioniers zu würdigen versuchen.

"Joe Zawinul, geboren 1932 in der Wiener Vorstadt, zählt zu den wenigen europäischen Jazzmusikern, die den Jazz verändert haben." Mit diesem oder einem ähnlichen Satz beginnen in der Regel die Huldigungen, die das Werk dieses Jazz-Pioniers zu würdigen versuchen. Als Sohn einer ungarisch-stämmigen Familie Ende der fünfziger Jahre nach Amerika ausgewandert, später Mitglied der Cannonball Adderly Group, deren größten Hit er komponierte, von Miles Davis für dessen legendäre Alben "In A Silent Way" und "Bitches Brew" engagiert und schließlich Gründervater von Weather Report. Das sind die Umrisse seiner glanzvollen Karriere. Sie gehen mit der Elektrifizierung des Jazz einher. Denn prägenden Einfluss übte Zawinul vor allem durch die Einbeziehung des Synthesizers aus.

Niemand hat diesem komplizierten Instrument eine ähnlich warme, menschliche Klangdimension gegeben. Hervorragende Pianisten wie Chick Corea oder Herbie Hancock haben sich bemüht, doch sie scheiterten, weil sie den Synthesizer entweder für eine andere Form des Pianos oder bloß für ein stupides Sound-Archiv hielten. "Ich habe mehrere Jahre an einem bestimmten Violin-Sound gearbeitet", erzählt Zawinul, "der nicht entfernt an die Klänge erinnern sollte, die in den modernen Geräten gespeichert sind. Er sollte sich anhören, als wäre er von Sascha Heifetz persönlich gespielt worden. Herbie Hancock besuchte mich, ich ließ ihn den Sound ausprobieren, aber es klang furchtbar. Ein großer Musiker", sagt Zawinul und nippt an seinem doppelten Espresso, "aber Synthesizer sind keine Klaviere. Wir bräuchten sie nicht, wenn sie nicht etwas vollkommen anderes wären."

Schon früh, meint Zawinul, habe er entdeckt, dass seine Begabung vor allem der Verfremdung von Klängen galt. So baute er als siebenjähriger Junge sein Akkordeon um, weil ihn dessen Musett-Sound zur Verzweiflung trieb. "Ich stahl den Filzbelag eines Billardtisches aus einem Kaffeehaus und befestigte ihn an der Innenseite des Gehäuses. Ein wunderschöner Klang." Zawinul erzählt diese Anekdote gerne. Denn sie beweist, dass die Erfindung des Synthesizers ihn nicht überraschen konnte. Das Gerät gehorchte ohnehin seinen Vorstellungen.

Haben Sie versucht, ...

"Ich versuche überhaupt nichts."

Sie machen nur?

"Richtig."

Selbst mit 68 Jahren setzt sich der kleine, untersetzte Mann mit der Statur eines Mittelgewichtsboxers der Tortur eines dicht gedrängten Tournee-Alltags aus. Wer ihn treffen will, muss sich kurz fassen. Gesprächig ist er nicht. Über sich selbst und seine Musik zu reden, widerstrebt ihm. Das sei, als würde man in einer Sprache über eine andere reden, obwohl beide nichts miteinander zu tun haben. Ein skeptischer Zug liegt in seinem Gesicht, lässt ihn unnahbar und hart erscheinen. Um ihm sympathisch zu sein, sagt er, "muss einer das Leben kennen und verarbeiten können". Wie er selbst.

Viele seiner Erfahrungen hat er unter Umständen gemacht, die späteren Jazzmusiker-Generationen erspart geblieben sind. Er sei zum Musiker erzogen worden, sagt er: "Meine Familie bestand aus Bauern und Arbeitern. Während des Krieges wurden für talentierte Kinder, die es sich nicht leisten konnten, auf ein Konservatorium zu gehen, Freiplätze bereit gehalten." So wurde er zunächst zehn Jahre lang an der Violine ausgebildet, obwohl er nach eigenem Bekenntnis lieber Fußball gespielt oder sich auf der Straße herumgetrieben hätte. "Aber wenn Menschen das Glück eines Talents besitzen, müssen sie ihr Leben lang hart dafür arbeiten." Zawinuls musikalische Ambitionen sprengten schnell den Rahmen, der einem Jazzmusiker in den fünfziger Jahren in Österreich gesetzt war. Doch seine begrenzten Mittel zwangen ihn, zu bleiben. Er saß in Tanz- und Radio-Orchestern am Klavier und wurde von Polydor als Session-Musiker beschäftigt.

Erst die Vergabe eines Stipendiums des Bostoner Berklee College of Music ermöglichte ihm 1959 die Ausreise in die USA. Studiert hat er dort nie. Stattdessen begleitete er die Sängerin Dinah Washington und wurde 1961 in die Cannonball Adderly Group aufgenommen. Dass er oft als einziger Weißer rassistischen Anfeindungen ausgesetzt war, ließ ihn äußerlich unbeeindruckt, ist aber nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Durch Stücke wie "Mercy, Mercy, Mercy", das 1967 bis auf den elften Rang der amerikanischen Pop-Charts aufstieg, befestigte er seinen Ruf als innovativer Pianist. Damals lobte ihn Miles Davis: "Um solche Musik schreiben zu können, muss man innerlich frei sein, muss man Joe Zawinul sein mit zwei braunen Kindern, einer schwarzen Frau und zwei Klavieren." Davis holte ihn 1969 zu sich, als er selbst zu einer freieren Spielweise finden wollte. Es war der Übergang von Jazz-Combos zu Improvisations-Kollektiven, in denen auch Hancock und Corea an elektrischen Pianos saßen. Zawinul schlug das Angebot aus, sich Miles Davis auf Dauer anzuschließen und formte 1971 mit Wayne Shorter "Weather Report". Als die Band Mitte der achtziger Jahre auseinander brach, hatte sie 15 Jahre die Bestenlisten der Jazz-Szene beherrscht und mit über sechs Millionen verkauften Platten einen stilbildenden Einfluss auf den Jazz-Rock ausgeübt.

Danach verschwand Zawinul für einige Jahre in der Versenkung. Er war nicht untätig, aber seine Projekte bekamen etwas Eigenbrödlerisches. Er saß hinter monströsen Keyboard-Konsolen und bestritt virtuose Solo-Programme, mit denen er zu demonstrieren schien, wie überflüssig Bands durch die Technik gemacht würden. Zeitweilig ließ er sogar eine Videokamera in seinem Rücken montieren, damit das Publikum verfolgen konnte, wie er sämtliche Passagen eigenhändig spielte. "Es war ein Versuch, niemanden mehr zu brauchen", erinnert er sich. Denn Leute, mit denen er hätte zusammen spielen wollen, gab es nicht.

Sie wirkten wie ein verrückter Wissenschaftler in einem Klang-Labor.

"Ja, aber ich bin kein Wissenschaftler."

Es muss ein Albtraum für Sie gewesen sein, wenn die Maschinen ausfielen.

"Einmal haben zwei Mitarbeiter die Geräte bei einem Konzert in Wien fünf Stunden in der Sonne stehen lassen. Als ich anfangen wollte, ging nichts mehr. Wenn so etwas mit einem Flugzeug passiert, ist das ein Albtraum. Für einen Musiker gibt es immer einen nächsten Tag."

Es ist eine Mischung aus Disziplin und Eingebung, die Zawinuls Musik bis heute unverwechselbar macht. Seine Kompositionen entspringen spontanen Improvisationen, die er auf Band mitschneidet und Teile davon später zu Partituren ausarbeitet. "Die Stücke bestehen aus einem Gerüst, das durch mich verändert werden kann", sagt er. Auf der Bühne dirigiert er seine Begleiter, das "Zawinul Syndicate", durch Zeichen, während er selbst seine elegischen, von Aussparungen durchlöcherten Melodien zu Themenblöcken zusammenfasst. Ihre Leichtigkeit und Transparenz hat etwas Traumwandlerisches, macht die Grenze zwischen Intuition und Arrangement unsichtbar. Trotzdem gibt es wohl keinen Keyboarder, dessen musikalische Sprache zugleich von solcher Schlichtheit und Komplexität ist.

"Es ist ein schönes Leben. Strapaziös. Aber, Mensch, ich muss ja was machen." Sagt er. Und verschwindet.

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