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Kultur: Johlen, Klatschen, Gähnen

Alle, die älter als 20 sind, sollten das eigene lyrische Frühwerk im Matheheft unauffällig verschwinden lassen: Literaten von morgen waren in Berlin, lasen Gutes, und lasen gut.Das 13.

Alle, die älter als 20 sind, sollten das eigene lyrische Frühwerk im Matheheft unauffällig verschwinden lassen: Literaten von morgen waren in Berlin, lasen Gutes, und lasen gut.Das 13."Treffen junger Autoren", alljährlich veranstaltet von den Berliner Festspielen in der Festspielgalerie in der Budapester Straße, war ein Fest des Vorlesens.Jan aus Essen zum Beispiel könnte einigen seiner berühmteren, nuschelnden und das Publikum sanft in den Schlaf wiegenden Kollegen Nachhilfe geben.Wenn der 19jährige sein "Drama" vorliest, nein, vorspielt, wird aus einer scheinbar belanglosen Erzählung über einen frustrierten Arbeitslosen ein funkensprühendes Kabinettstück über Psychoterror zwischen Männerehre und Haushaltspflichten.Und ein deutlich vom Expressionismus geprägtes Gedicht, das auf dem Papier Böses ahnen läßt, muß man nur so unlyrisch laut, stolz und selbstironisch vortragen wie Jungautor Marco, und schon wird daraus die flotte Assoziationskette eines Träumers auf Weltreise.

Das Plakat zum "Treffen junger Autoren" zeigt eine Schreibmaschine auf einem Menschenhals.Es so aussehen zu lassen, als läsen lauter Helden eines David-Cronenberg-Films, und nur kleingedruckt darauf hinzuweisen, daß es sich um Teilnehmer eines Schülerwettbewerbes handelt, ist ein raffinierter Schachzug.Andererseits wird während der Lesung schnell klar, daß die Werke der 19 ausgewählten von insgesamt über 2500 teilnehmenden Jungliteraten aus ganz Deutschland tatsächlich wenig zu tun haben mit hormongeschüttelten Bekenntnissen in herzchenverzierten Tagebüchern.Obwohl der überfüllte Saal der Festspielgalerie durchaus eher den Charme einer Schulaula statt den Geist der Literatur versprüht.Dafür wirkt das Publikum nicht andächtig belesen, als würde es im Grunde selbst gern aus dem eigenen Oeuvre vortragen.Hier kuschelt sich das zerbrechliche Blondchen liebevoll an den Liebsten, während die Klassenkameradin vorne von Liebe und rosa Taftband liest.

Doch, die Jugend von heute kann zuhören.Fast zwei Stunden lang.Es wird kaum geraschelt, und dank des niedrigen Altersdurchschnitts wird auch nicht ständig gehüstelt.Es wird durchaus gegähnt, wenn der Weltschmerz auf dem Podium zu penetrant und der Sauerstoff im Saal knapp wird.Aber es wird auch gejohlt und geklatscht, wenn ein begabter Altersgenosse sein Werk vorträgt.Literatur verträgt Gähnen und Applaus.

Hier lesen Schriftsteller von morgen, und in der entspannten Atmosphäre klärt sich so manches Rätsel der Literatur von heute.Eine dieser ungelösten Fragen ist doch zum Beispiel, warum sich besonders Autorinnen so hingebungsvoll ihrer Innerlichkeit widmen, während Männer lieber fremdes Terrain erkunden? Ganz einfach.Das Phänomen zeigt sich schon in den Werken der anwesenden Minderjährigen und ist angelegt in der Pubertät der späteren Schriftstellerinnen: Mädchen sind bekanntlich reifer, gleichaltrige Jungs sind doof, also beschäftigt man sich doch lieber mit sich selbst.Und warum krankt so manche deutsche Gegenwartsprosa an Sprachmacht und Inhaltsleere? Na, wenn die Mädchen nichts von einem wissen wollen, was bleibt dem Nachwuchsautor dann schon übrig, als sich in Büchern zu vergraben? Oder sich erzählerisch "introvertierten Raben" zu widmen wie Florian, dessen Körper zwar "fest irgendwo am Rande Berlins lokalisiert", dessen 15jähriger Geist aber "fast nie zu Hause" ist.Sicher, auch die deutsche Literatur von morgen horcht noch in sich hinein.Schreibt von Herbst und Morgentau, den Kopf voller Metaphern, und vor Metaphern wenig Welt.Aber sie tut es mit mehr Humor und Selbstironie.Bereit, den Kampf aufzunehmen.Es ist erstaunlich, was da auf die Literatur zuzukommen scheint.

IRIS ALANYALI

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