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Kultur: John Wayne am Kulturforum

Während Leere, Abwesenheit und Einsamkeit bis zum Fall der Mauer gängige Topoi der kulturellen Reflexion über das isolierte West-Berlin waren, verbindet man mit dem wiedervereinigten Berlin der neunziger Jahre eher Urbanität, Dichte und Hektik.Diese beiden Pole verbinden sich in einer zweiteiligen Videoinstallation, die Douglas Gordon ab heute in der Neuen Nationalgalerie zeigt.

Während Leere, Abwesenheit und Einsamkeit bis zum Fall der Mauer gängige Topoi der kulturellen Reflexion über das isolierte West-Berlin waren, verbindet man mit dem wiedervereinigten Berlin der neunziger Jahre eher Urbanität, Dichte und Hektik.Diese beiden Pole verbinden sich in einer zweiteiligen Videoinstallation, die Douglas Gordon ab heute in der Neuen Nationalgalerie zeigt.

Auf der einen Leinwand zeigt der schottische Künstler die horizontale Ausgedehntheit von leeren wüstenhaften Landschaften; auf der anderen die virile vertikale Emporgerecktheit des New Yorker Empire State Building.Beide Sequenzen seiner Videoinstallation entnimmt er Filmen, die er als ready-mades bearbeitet.Bei der Wüste handelt es sich um den Western "The Searcher" von John Ford, mit John Wayne in der Hauptrolle; bei dem Bild der Wolkenkratzerspitze um Andy Warhols Film "Empire", in dem keine Menschenseele auf der Turmspitze zu sehen ist.

Passend zum urbanen setting von "Empire" beschleunigt Gordon den aus dem Fernsehen abgefilmten Warhol-Streifen, so daß von den ursprünglichen acht Stunden gerade mal zwei übrigbleiben.Dagegen erscheint die Wüste in "The Searcher" passenderweise in extremer Dehnung: Ein einziges Bild des Films erscheint ganze 14 Minuten lang, so daß während der siebenwöchigen Ausstellungsdauer gerade mal die 29.bis 34.Minute des Films gezeigt werden können.Insgesamt würde der Film fünf Jahre dauern.Und so läßt man sich schnell hinreißen zu dem alten Vergleich von der Kürze des Menschenlebens, das nur einen Sekundenbruchteil der Weltgeschichte ausmacht.Da blinzelt John Wayne gerade mal mit dem Auge und schaut in die Steppe.

Mit seinen Verödungen ehemals intakter Bildwelten ist Douglas Gordon weltberühmt geworden.Der mehrfach preisgekrönte Künstler versetzt jeden Psychothriller ins Koma.

Aus Hitchcocks "Psycho" machte Gordon eine 24stündige Exkursion in die Untiefen der menschlichen Seele; den Filmklassiker "The Strange Case of Dr.Jekyll and Mr.Hyde" verwandelte er in eine düstere Etüde über Identität und Alterität.Mit Douglas Gordon geht die Kunst der Belichtung, das Kino, auf Tauchstation.Er zeigt die Bilder des Kinos im Zustand hypnotischer Ambivalenz.

Gordons Kunst verdankt sich der Einsicht, daß die Kinobilder in der Verlangsamung an Eindringlichkeit gewinnen.Es geht ihm um eine andere, irritierende Erfahrung dessen, was für uns gewöhnlich ist.Ohne Ton, ohne Handlung - ohne den schützenden Rahmen der Dramaturgie dringen die Bilder von Monstern und Mädchen unvermittelt in die Seele.Dabei entdeckt Gordon ein Bild hinter dem Bild, ein magischeres und geheimnisvolleres, das vom bekannten verdeckt wurde.Wie ein Schamane des kinematographischen Bildes beschwört Gordon dessen okkulte Botschaft, die ihn an den Ursprung des Kinos zurückführt.Mit der Gewalt des direkten Zugangs zur Wahrnehmung begabt, vermögen seine Verlangsamungen einzudringen "in das Gewebe der Gegebenheit", wie Walter Benjamin es den ersten Filmbildern zugeschrieben hatte.

Doch nicht Benjamins "optisch Unbewußtes" macht den besonderen Reiz der Berliner Videoinstallation aus.Vielmehr ist es die Verbindung mit der Architektur Mies van der Rohes.Seit dem gläsernen Pavillon am Kulturforum mit der Installation von Ulrich Rückriem die Vorhänge genommen und die gesamte obere Ausstellungsterrasse von allen Seiten einsehbar wurde, ist der Raum zu neuem Leben erwacht.Ihm wurden die Wimpern entfernt, und er hat die Augen geöffnet.Man blickt von draußen nach drinnen und umgekehrt.Von Andy Warhols heroischen New Yorker Wolkenkratzern blickt der Betrachter auf die kirmeshafte Skyline des Potsdamer Platzes, vom Mercedes-Stern zurück in die amerikanische Marlboro-Landschaft John Fords.

Douglas Gordons Videoinstallation ist sieben Wochen lang rund um die Uhr zu sehen, ohne Eintritt und Öffnungszeiten.Friedrich Meschede vom DAAD, der die Ausstellung ausrichtet und Gastgeber des schottischen Berlin-Stipendiaten war, versteht gerade dies als ein Statement für die Öffentlichkeit der Kunst, die in Berlin neuerdings zunehmend in Clubs und Salons verschwindet.Mit den Wüsten und Wolkenkratzern Douglas Gordons habe er die oft als gigantische Tankstelle geschmähte Nationalgalerie in ein Kino verwandelt, in einen Ort für Nachtschwärmer.

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, bis 5.April; Katalog 78 Mark.

KNUTN EBELING

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