zum Hauptinhalt
Literaturkritiker Denis Scheck, 53.

© Oliver Schmauch

Jonas Jonasson, Charlotte Link, Nele Neuhaus: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Der Literaturkritiker bespricht die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“.

10) Carmen Korn: Zeitenwende (Kindler, 560 S., 19,95€)

Eine Romantrilogie über vier Freundinnen aus Hamburg-Uhlenhorst und 80 Jahre deutsche Zeitgeschichte von der Weimarer Republik über die Nazizeit, das Wirtschaftswunder und die deutsche Teilung bis zu AIDS. Furchtbar gut gemeint, furchtbar schlecht geschrieben – was zu Sätzen führt wie: „Eine Familie, die auf zwei Weltkriege, drei Konzentrationslager, vier Jahre in einer Justizvollzugsanstalt, fünf Jahre Kriegsgefangenenlager im Ural und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung kommt, kann eine Krankheit wie deine kaum erschüttern.“ „Lindenstraßen“-Niveau.

9) Christian Berkel: Der Apfelbaum (Ullstein, 416 S., 22 €)

Auf der Literatur dieses Landes lastet ein Fluch: der Fluch des schreibenden Schauspielers. Manuskripte, die sonst keine Chance hätten, werden veröffentlicht, weil die Verlage klug mit der im Kino oder Fernsehen erworbenen Popularität der Autoren rechnen. Aber dieser Christian Berkel hat in „Der Apfelbaum“ eine spannende Geschichte zu erzählen – seine eigene Familiengeschichte. Und auch wenn die Konstruktion mitunter kräftig klappert und mir einige Szenen zu sehr auf Effekt geschrieben sind, hat mir unterm Strich dieser facettenreiche Berliner Familienroman zwar nicht gefallen, aber immerhin imponiert.

8) Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten (Deutsch von W. Kuhn, C. Bertelsmann, 448 S., 20 €)

Fortsetzungen sind ja – man denke nur an das Alte Testament im Vergleich zum Neuen Testament – meist eine Enttäuschung. Dieser Roman ist eine Ausnahme. Sollte Ihnen das Verhalten Angela Merkels in letzter Zeit merkwürdig erschienen sein, Jonas Jonassons zweiter Roman um den über Hundertjährigen Allan Karlsson erklärt Ihnen alles. Eine Augen öffnende Lektüre!

7) Charlotte Link: Die Suche (Blanvalet, 656 S. 24 €)

Mal abgesehen davon, dass dieser Krimi langweilig, unglaubwürdig und vorhersehbar ist – Charlotte Link ist ein Phänomen. Wie kann jemand so erfolgreich sein, der so taub für die deutsche Sprache ist? „Auf Caleb wirkte Brendan allerdings nicht wie einer, der reihenweise Mädchen ermordete, aber er wusste, dass man sich täuschen konnte. Er hatte ganz offensichtlich ein Problem mit Frauen.“ Vermögen Sie zu entscheiden, wer, Caleb oder Brendan, ein Problem mit Frauen hat? Ich habe jedenfalls leider nicht nur Probleme mit Frauen, sondern auch mit Charlotte Links Romanen.

6) Walter Moers: Weihnachten auf der Lindwurmfeste (Penguin, 112 S., 15 €)

Dieses Buch ist eine Mogelpackung: eine mühsam aufgepimpte Satire über Weihnachten und das erste Werk von Hildegunst von Mythenmetz, das mich mächtig enttäuscht. In Mythenmetz’ eigenen Worten: „die unterste Wassermarke der Lindwurmkultur.“ Aber ein Genie wie Walter Moers darf auch mal schwächeln.

5) George R.R. Martin: Feuer und Blut (Deutsch von Andreas Helweg, Penhaligon, 896 S., 26 €)

Nicht wenige Deutsche kennen sich dank „Game of Thrones“ zwischen Dorne und Königsmund, Casterlystein und den Eiseninseln besser aus als auf der Schwäbischen Alb. Während wir Süchtigen nach wie vor vergeblich auf die Abschlussbände der Romanvorlage „Das Lied von Eis und Feuer“ warten, liefert uns Martin ein fiktionales Geschichtswerk über die Eroberung Westeros durch die Targaryens aus der Feder des Erzmaesters Gyldayn. „Feuer und Blut“ verhält sich zu „Game of Thrones“ wie Tolkiens „Silmarillion“ zum „Herrn der Ringe“: Fantasielose Konsumenten werden meckern, für Fans ein vorgezogenes Weihnachten!

4) Dörte Hansen: Mittagsstunde (Penguin, 320 S., 22 €)

Dieser Roman erzählt am Beispiel des nordfriesischen Brinkebülls von einer über Jahrhunderte dominierenden und inzwischen ausgestorbenen Lebensform: dem deutschen Dorf. Dörte Hansen gelingt mit „Mittagsstunde“ das erstaunliche Kunststück, sowohl auf der SWR-Bestenliste wie auf der „Spiegel“-Bestsellerliste zu stehen: Das gleicht der Vermählung von Feuer und Wasser. Bravo!

3) Lucinda Riley: Die Mondschwester (Deutsch von Sonja Hauser, Goldmann, 672 S., 19,99 €)

„Das Mondkalb“ wäre der passendere Titel für diesen fünften Band der Reihe um sieben Schwestern, die nach dem Tod ihres Adoptivvaters auf der Suche nach ihrer Herkunft rund um die Welt reisen. Diesmal steht eine vegane Zoologin im Mittelpunkt, die gleich zu Beginn auf eine Seifenkiste steigt und predigt, predigt, predigt, unterdessen einen schottischen Lord kennenlernt, dann auf den Spuren ihrer Großmutter, einem Flamenco-Star, ins spanische Granada gelangt und schließlich das Anwesen des schottischen Lords sowie jede Menge Wildkatzen und Hirsche rettet. Eine Kitschorgie, die Jagdlust auslöst.

2) Sebastian Fitzek: Der Insasse (Droemer, 384 S., 22,99 €)

Auch der neue Fitzek bietet wieder pure, sich an Gewalt aufgeilende Prosa. Was mich an diesem Buch über einen Kindermörder und den Vater eines Opfers, der sich in die geschlossene Psychiatrie einweisen lässt, um an den Täter heranzukommen, neben den Gewaltszenen anwidert, ist dieselbe Sprache, die das „gesunde Volksempfinden“ und seine politischen Repräsentanten sprechen. Was will uns Sebastian Fitzek sagen mit Sätzen wie: „Aber da man in Deutschland in einem Rechtsstaat lebte, war bereits die Androhung von Folter strafbar. Selbst einem Monster gegenüber.“ Wäre es besser, nicht in einem Rechtsstaat zu leben? Wäre es besser, wenn Folter legal wäre? Dies ist kein Roman, dies ist eine Kloake.

1) Nele Neuhaus: Muttertag (Ullstein, 560 S., 22 €)

Neben Fitzek erscheint selbst Nele Neuhaus’ neuer Taunuskrimi wie Shakespeare – na ja: fast. In „Muttertag“ geht es um einen Serienkiller, der ein ungeliebtes Heimkind war, weshalb er seine Opfer bevorzugt am Muttertag umbringt, um die Schwester von Kriminalhauptkommissarin Pia Sander, die in einer lesbischen Beziehung mit Sanders Vorgesetzter lebt, um einen Schäferhund mit dem Biernamen Beck’s, der um ein Haar verdurstet wäre… Wenn ich viel, sehr viel oder noch viel mehr als sehr viel Glück habe, währt mein Leben noch 20, 30, 40 Jahre. Für solche Bücher ist es in jedem Fall zu kurz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false