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Stadt der Zeitpiloten. Die Brücke zwischen Manhattan und Queens, einem der Schauplätze von Lethems Roman.

© Imago

Jonathan Lethems neuer Roman: Wissen kommt vor Glauben

Meine Großmutter, die Kommunistin: Jonathan Lethems Roman „Der Garten der Dissidenten“.

Auch die strammste amerikanische Kommunistin landet irgendwann bei Gott, und sei es erst auf dem Totenbett. In diesem Fall aber soll das Zu-Gott-Kommen vor allem als Analogie verstanden werden. „Wenn ER hier ist, nimmt ER allen Raum ein. Erst wenn ER fortgeht, entsteht der Möglichkeitsraum für anderes“, weiß Rose Angrush Zimmer, eine der Hauptfiguren von Jonathan Lethems neuem Roman „Der Garten der Dissidenten“, zudem sein ohne Unterlass behauptetes Kraftzentrum. Diesem Satz nicht so ganz folgen will und kann der Sohn eines ihrer einstigen Geliebten, ein schwarzer Princeton-Professor namens Cicero Lookins, der Rose in ihrem Pflegeheim dann und wann besucht. Also erklärt sie ihm, dass es in Amerika nie zu einer Revolution kommen könne, weil der Kapitalismus, eben ganz anders als Gott, „niemals von sich aus verschwinden“ würde: „Wir können nicht atmen, wir können nicht mal ansatzweise existieren. Er füllt den ganzen Raum aus.“

Cicero jedoch, Philosophie hin, Kritische Theorie her, ist Pragmatiker und weist Rose auf deren „aktenkundige Existenz“ hin. Genau das, die Diskrepanz zwischen Leben und Hoffen hier, Dahinvegetieren und Scheitern dort, ist der sprichwörtlich rote Faden, der sich durch Lethems Mehr-Generationen-, linken Geschichts- und nach umjubelten Büchern wie „Festung der Einsamkeit“ und „Motherless Brooklyn“ wieder einmal auch New-York-Roman schlängelt: Figuren wie Rose, wie ihre Hippie-Tochter Miriam, wie ihr vor den Nazis aus Deutschland geflüchteter jüdischer Ehemann Albert, der sie und Miriam zugunsten der DDR verlässt, wie Cicero, „die schwule, schwarze Schwabbelwampe“ – sie alle existieren, sie alle versuchen, die Möglichkeitsräume, die ihnen das vermeintlich freie Amerika-Land bietet, auszufüllen, zu gestalten. Und sie alle scheitern, mal tragisch, mal kläglich.

Lethem erzählt die jüngere Geschichte der amerikanischen Linken und Radikalen: ausladend und doch auf seine Figuren konzentriert. Vordergründig beginnt sie in den fünfziger Jahren, als Rose wegen des Verhältnisses mit einem schwarzen Polizisten aus der Partei ausgeschlossen wird, eben jenes Vaters von Cicero; die Wurzeln aber liegen in den zwanziger Jahren, in der europäischen Katastrophe. Und das Ganze endet in unserer Gegenwart, in den Ausläufern der Occupy-Bewegung, die Roses Enkelsohn Sergius in der Person eines Gitarre klampfenden und Protestlieder singenden Mädchens zumindest streift: „Occupy. Das ist eine Lebensweise, Sergius. Nur lebt man anders.“

Der Schriftsteller hantiert mit popkulturellen Referenzen

Neben dem Greenwich Village bilden die Sunnyside Gardens das räumliche Zentrum des Romans: ein in den zwanziger Jahren entstandenes soziales Wohnprojekt im New Yorker Stadtteil Queens, mit ein-, zwei- und dreistöckigen Häusern, bewohnt nicht zuletzt von „geschichtsbetäubten Juden, deren Immigrationsreise eine Pause brauchte.“ So auch für Rose und Albert, dessen Mutter in Lübeck die Nachbarin von Thomas Mann war und der in Queens nicht glücklich wird: nicht als Kommunist, als kommunistischer Jude aus Deutschland schon gar nicht Während des Krieges verflüchtigen sich für das junge Ehepaar spätestens mit dem Hitler-Stalin-Pakt alle politischen Gewissheiten. Nachdem Albert sich aus dem Staub gemacht hat, um in Europa am sozialistischen Experiment teilzuhaben, bleibt sich Rose in Sunnyside Gardens zumindest in Form „beharrlicher Nachbarschaftshilfe“ treu: geachtet, gefürchtet, misstrauisch beäugt.

Seine Großmutter war Kommunistin: Jonathan Lethem.
Seine Großmutter war Kommunistin: Jonathan Lethem.

© AFP

Rose aber ist nur eine von vielen Hauptfiguren. Im steten Wechsel erzählt Lethem auch die Lebensgeschichten von Roses Tochter Miriam, die mit ihrem Mann Tommy Gogan, einem irischstämmigen, in Kanada groß gewordenen Folksänger, in der alternativen, kreativen, drogenverhangenen Szene von Greenwich Village landet; von Miriams Sohn Sergius, der nach dem Tod seiner Eltern in Nicaragua in einem Quäker-Heim aufwächst; von Cicero und seinen Eltern; und von Lenny Angrush, einem Neffen von Rose. Der ist Münzexperte, ebenfalls wackerer Kommunist und versucht, ein sozialistisches Baseball-Team auf die Beine zu stellen. Das misslingt, wie so vieles in seinem Leben; er ist der traurigste Verlierer in diesem Garten der Dissidenten

Wie schon in seinem 2011 erschienenen Roman „Chronic City“ beeindruckt Jonathan Lethem mit den Porträts einer Vielzahl von eigentümlichen Charakteren, deren (An–)Triebe, Psyche und Psychodynamiken er elaboriert zu deuten versteht. Auch mit vielen popkulturellen Referenzen hantiert der genuine Popist Lethem, besonders natürlich in den Kapiteln, in denen Tommy Gogan und das Village im Mittelpunkt stehen, bis hin zu einer vernichtenden Albumkritik von Gogans Debütalbum „Bowery“ durch einen gewissen P. K. Tooth, dem ausgekochten, abgewrackten Pop- und Kulturkritiker aus „Chronic City“.

Es ist tatsächlich eine einzige Freude, Lethems einfallsreicher, manchmal spielerischer, kunstvoll ausgearbeiteter und von dem David-Foster-Wallace-Übersetzer Ulrich Blumenbach toll ins Deutsche übertragener Prosa zu folgen – und doch hat man bisweilen den Eindruck, dass (sprachlicher) Aufwand und Ertrag nicht immer übereinstimmen. Dass jedes Kapitel für sich ein kleines Meisterwerk ist; dass das Ganze sich aber nicht zusammenruckelt, nicht vollständig zu einer great american novel fügt, was der Handlungsarmut genauso geschuldet ist wie dem vielfältigen Schillern der Figuren.

Eine humorvolle Melancholie durchzieht diesen Roman; und anders als Philip Roth seinerzeit mit seinem McCarthy-Ära-Roman „I married a communist“ versagt sich Jonathan Lethem jede private Abrechnung (wozu er als Kind von Hippie-Eltern durchaus Grund gehabt hätte). Die dauernden historischen und politischen Bezüge und Analysen, die die Figuren nicht einmal richtig lieben lassen können, unterdrücken jedoch allzu oft das erzählerische Moment von „Der Garten der Dissidenten“. Was sich schön erkennen lässt in dem vielleicht schwächsten Kapitel, das nur aus den Briefen besteht, die Albert seiner Tochter aus Dresden schreibt. Aber auch daran, dass selbst die Occupy-Bewegung den Hippies und Kommunisten in Sachen Losertum, Randständigkeit, Vergeblichkeit in nichts nachsteht. Sicherheit und Überwachungswahn schlagen jede Utopie, Lethem versagt sich da jede Träumerei.

Niemand entkommt der Geschichte des 20. Jahrhunderts

Und seltsamerweise bleibt ausgerechnet Rose, selbst wenn sich alle anderen stets auf sie beziehen, sie in ihrem Bann auch auf weiteste Entfernung oder ohne weiteren Kontakt zu ihr stehen, eine blasse Figur. Ihre Lebenstragik vermittelt sich zwar, zu berühren vermag sie nicht: „Roses Kommunismus, der Kernquotient aus Wissen und Glauben, hielt auch in Alberts Abwesenheit, hielt auch in der Abwesenheit jeder Unterstützung. Anders als Alberts Kommunismus brauchte er keine Kultivierung von Eitelkeiten, keine Freude an Papprhetorik. Als sowohl ihre Ehe als auch die Volksfront zerbröckelten, blieb Rose in die harten Umrisse ihrer privaten Gewissheiten geätzt zurück.“

Am Ende ist es die Geschichte, der hier niemand entkommt, die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Und damit zusammenhängend natürlich die eigene Herkunft, die auch im 21. Jahrhundert noch jedem Lebensentwurf im Weg steht. Da nützt alle Coolness, alles popkulturelle Geheimwissen nichts – da bleibt nur das resignierende Eingeständnis von Roses Enkel Sergius, vor allem „Rückwärtsreisender“ und „Zeitpilot“ zu sein.

Jonathan Lethem: Der Garten der Dissidenten. Roman. Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Tropen Verlag, Stuttgart 2014. 476 Seiten, 24,95 €.

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