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Joseph Beuys' Atelier ist wieder offen: Blattgold und Hasenblut

Spurensuche am Niederrhein: In Kleve fand der junge Joseph Beuys 1957 sein erstes Atelier. Bis 1964, als er eine Professur in Düsseldorf annahm, entstand seine Kunst im ehemaligen Kurhaus. Später war hier das Archiv der Stadt untergebracht. Jetzt sind die Räumlichkeiten wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Und auch im nahen Schloss Moyland, wo das Frühwerk des Künstlers umfassend dokumentiert ist, tut sich was

Die Puppe ist ein karger Raum, drei Fenster zur Rechten, drei Durchgänge an der hinteren Wand zu weiteren Kammern. Und wie bei einer richtigen Larve finden sich auch hier noch Abdrücke des ursprünglichen Seins, letzte Spuren, bevor der Schmetterling namens Beuys seinen Weg in die Welt fand und den Kunstbegriff neu erfand. Die Puppe, das erste Atelier des 1986 verstorbenen Kunstrevoluzzers, befindet sich in Kleve am Niederrhein, seiner Heimat. Hier verkroch sich der junge Hochschulabsolvent 1957 nach seinem Zusammenbruch und fand wieder zu Kräften. In diesen einfach geschnittenen Räumen arbeitete er an seinem ersten großen Auftragswerk, dem Büdericher Ehrenmal. Hier entwickelte er sein wegweisendes Formenvokabular, zeichnete, formte mit Ton, bearbeitete das große Holzkreuz mit der Axt.

1964 verließ Beuys endgültig dieses schützende Gehäuse, nachdem er an der Düsseldorfer Akademie eine Professur angenommen und ein zweites Atelier eingerichtet hatte. „5 M. Ladung“ holte laut Rechnung ein Transportunternehmen aus Kleve ab. Zurück blieb die leere Hülle, in dem zuletzt das historische Archiv der Stadt residierte – bis nun, über ein halbes Jahrhundert später, wieder an den einstigen Benutzer erinnert wird und sich der Ort durch Werke, Fotografien, Arbeitsmaterial erneut mit dessen Aura auflädt.

Für das Museum Kurhaus Kleve ist dies ebenfalls der Moment einer zweiten Geburt. Vor 15 Jahren wurde es eröffnet in den historischen Räumen der einstigen Bäderarchitektur, dem ehemaligen Hotel, den Wandelhallen. Nur der letzte Trakt, der älteste Bauteil, in dem sich sogar noch eine in den Boden eingelassene Wanne befindet, fehlte dem Ausstellungshaus: jener Flügel, in dessen Erdgeschoss Beuys einst Unterschlupf gefunden hatte.

Im letzten Jahr seines 40-jährigen Wirkens für die städtische Sammlung hat Direktor Guido de Werd diesen Schlussstein seiner Museumsarbeit noch gesetzt, zusammen mit einer Neueinrichtung des Hauses, das fernab der klassischen Kunstadressen des Rheinlands immer schon ein geschätzter Ausstellungsort war. Nun rundet sich das Bild. Was mit der Sammlung Ewald Mataré begann, dem Lehrer von Beuys, seine Fortsetzung in vielen exquisiten Ausstellungen zu Minimal, Arte Povera und Land Art fand, wird durch die Wiedergewinnung des Beuys’schen Ateliers nun zum Abschluss geführt.

Und plötzlich stellt sich das Haus durch alle Zeiten neu auf. In einem acht Meter hohen, nun hinzugewonnenen Saal sind mittelalterliche Skulpturen der zeitgenössischen Kunst gegenübergestellt. Vier großformatige Fotografien zeigen die Kölner Domtüren, die Beuys zum Jubiläum der Kathedrale bearbeitete. Beuys und Holthuys, der andere Bildhauerstar vom Niederrhein, der hier allerdings Jahrhunderte früher lebte und arbeitete, sind vis-à-vis platziert – für den Besucher nur eine kleine Kopfwendung voneinander entfernt. Beuys, der seiner Heimat immer sehr verbunden blieb, hätte diese Gegenüberstellung sicher gefallen.

Alt und Neu, Großes und Kleines, Bedeutsames und Nebensächliches findet hier zusammen, der private Beuys ebenso wie der bedeutende Bildhauer. Diese erhellende Mischung kommt vor allem durch Leihgaben zustande, die bisher noch nirgends zu sehen waren. Eva Beuys, die dem Haus schon lange verbunden ist, gab großzügig von ihren Schätzen, die nun wie Memorabilien in Vitrinen ausgebreitet sind: der erste Malkasten des Künstlers, Tierknöchelchen, Kristalle, Samen, Blattgold und sogar ein Fläschchen mit Hasenblut. In einer Ecke steht die große Kiste mit dem längst ausgetrockneten Ton. Das Museum widerstand der Versuchung, das Atelier zu reinszenieren. Stattdessen erinnert es an die Arbeitsschritte, besonders eindrucksvoll in den Gipsen, die nun erstmals ausgestellt sind.

Kleve, der Ort, den Beuys immer schon als seinen Geburtsort nannte, obwohl er aus Krefeld stammte, hat sich damit endgültig zur Pilgerstation auf den niederrheinischen Spuren des heiligen Jupp entwickelt. In dem Städtchen ist die einzige authentische Stätte seines Schaffens wiedergewonnen, im nur wenige Kilometer entfernten Schloss Moyland befindet sich dafür die größte Kollektion seiner Frühwerke. Dort ist die Sammlung van der Grinten beheimatet, von jenem Brüderpaar, auf deren Hof sich Beuys in der Krise der fünfziger Jahre vorübergehend als Landarbeiter verdingte und wieder zur Kunst zurückfand.

Bislang konnten die beiden Orte trotz der vielen Gemeinsamkeiten wenig miteinander anfangen. Kleve schenkte Eva Beuys ihre Gunst, Moyland überzog sie mit Klagen, zuletzt mit dem Verbot, Fotografien einer Beuys-Performance auszustellen. In Kürze wird sich das Bundesverfassungsgericht dazu äußern – mit weitreichenden Folgen für die Dokumentation jeglicher künstlerischer Aktionen und deshalb mit Spannung erwartet. Doch die Zeiten ändern sich. Das Kurhaus Kleve hat in Harald Kunde einen neuen Direktor, der das Museum öffnen will; in Moyland gibt Bettina Paust dem Haus seit der Neueinrichtung vor anderthalb Jahren ein anderes Profil.

Die Ausstellung „Supervisions“ mit Zeichnungen junger Künstler in der einstigen Vorburg des Wasserschlosses gibt eine Ahnung davon. Die Beziehung zu Beuys, der die Zeichnung als erste sichtbare Form des Gedankens ansah, ist schnell hergestellt. Petrit Halilaj, David Shrigley, das Duo Matthias Böhler & Christian Orendt, Heiner Franzen und Eva von Platen interpretieren den großen Meister keineswegs neu, sie entwickeln ihre eigenen Welten, humorvoll, poetisch, anspielungsreich, drastisch und wie bei Beuys immer wieder zur Skulptur geweitet. Der Brite Shrigley, der Popstar unter den Zeichnern, kombiniert Schrift und Bild zu lapidaren, treffsicheren Kommentaren auf einen zunehmend absurderen Alltag. „Egg“ steht in Großbuchstaben auf einer glasierten Eiform, als hätte er geahnt, was als nächster Lebensmittelskandal kommt.

Böhler & Orendt treten als die deutsche Version der Chapman-Brüder auf, indem sie ebenfalls ein Miniatur-Massaker inszenieren. Bei ihnen schlachten sich die Figürchen nicht gegenseitig ab, sondern sind zu Arbeitsteams formiert, die einem schlafenden behaarten Riesenwesen zu Leibe rücken und dessen Körpersäfte abzapfen, seine Zähne, Fußnägel, Fell- und Hautstücke als große Ressource benutzen. Faszination und Schauder halten sich bei ihrer „Give us, Dear“ betitelten Skulptur die Waage. Die Papierarbeiten an der Wand weisen sie als großartige Zeichner aus, die lachenden Blickes um sich schauen. Auf einem Blatt plumpsen Erdkugeln mit Beinen von der Klippe, um in ihrem Blut zu landen.

Beuys, Umweltkämpfer und Mitbegründer der Grünen Partei, hätte dieser Betrachtung vermutlich zugestimmt. Mit dem Atelier in Kleve und der Sammlung in Moyland hat er seinen festen Ort, mit den jungen Zeichnern aber geht er in eine neue Zeit.

Museum Kurhaus Kleve, bis 7. April; Katalog 49,50 €. Schloss Moyland, bis 30. Juni.

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