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Kultur: Jubiläen, Geister, Schweinebraten

Bayreuth vor dem Start in die neue Festspielzeit

Es sei gar nicht so leicht, Bayreuth zu lieben, „wenn man weder Biertrinker noch Schäufelefreak ist“, hat Festspielchefin Katharina Wagner erst kürzlich zu bedenken gegeben. Schäufele heißt in Oberfranken ein leckeres Stück aus der Schweineschulter, gewürzt mit Pfeffer und Kümmel, serviert in Dunkelbiersauce, mit Klößen dazu. Allzu viel sollte man davon nicht essen, wenn man noch etwas vorhat.

Bayreuth hat viel vor. Drei Jubiläen muss die „schöne Einöde“ 2011 verkraften. Erstens wird der Komponist Franz Liszt – Richard Wagners Schwiegervater und auf dem Bayreuther Stadtfriedhof begraben – 200 Jahre alt. Zweitens finden die Wagner-Festspiele seit 1876 zum 100. Mal statt (mit diversen, teils ökonomisch, teils politisch motivierten Unterbrechungen). Und drittens feiert Neu-Bayreuth, die legendäre Wiedergeburt der Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg, sein 60-jähriges Jubiläum. 1951 macht Wieland Wagner hier als Regisseur radikal reinen Tisch: Leer sei die Bühne, einsam der Mensch, befreit von allen ideologischen Fußfesseln, allem Bilderballast, bereit für die Kunst der Zukunft. Ganz frei von Pathos war auch diese Kunstanschauung nicht.

Drei Gründe also, mächtig stolz zu sein. Was Franz Liszt betrifft, tut die „Weltstadt auf Zeit“ auch, was sie kann. 150 Veranstaltungen übers Jahr verteilt, was Rang und Namen hat, gibt sich die Klinke in die Hand – kurz: „Lust auf Liszt“. Einziger Schatten: Das Engagement ist rein städtisch. Die Festspiele, die Liszt in ihren Urgründen einiges zu verdanken haben, hüllen sich in Schweigen. Eine Ungeschicklichkeit? Ein Affront?

Der Wieland-Tochter Nike jedenfalls, Chefin des Weimarer Kunstfestes „Pèlerinages“, treibt es im „Spiegel“ die Zornesröte ins Cosima-Gesicht: „Die Bringschuld der Wagners Liszt gegenüber ist gewaltig.“ Ein Geburtstagskonzert am 22. Oktober im Festspielhaus – das wär’s ihrer Ansicht nach gewesen, ein Signal, der Beginn der „Schuldentilgung“. Nikes Cousinen, die Festspielleiterinnen Eva und Katharina, sehen das anders. Zum einen lässt es die Satzung der Festspiele nicht so ohne Weiteres zu, dass auf dem Wagner-Hügel Musik von anderen Komponisten erklingt; zum anderen kann es Ende Oktober in Oberfranken bereits empfindlich kalt sein – und eine Heizung hat das hohe Haus nicht.

Was bei der Trauerfeier für Wolfgang Wagner möglich war (am 11. April 2010, mit Musik u.a. von Mendelssohn), soll für Franz Liszt nicht gelten? Neben Ignoranz und Überforderung zeichnet sich hier etwas ab, was als „Schäufele-Effekt“ Schule machen könnte. Zu satt, zu schlapp, zu viele böse Fette und Kohlehydrate im Blut, um auf Herausforderungen reagieren zu können? Die beiden anderen Jubeldaten nämlich, der 100. und der 60., werden gleichfalls mit Nichtachtung gestraft. Und das ist so schade wie dumm: Was wären daraus für Funken zu schlagen gewesen! Die Festspiele als theatergeschichtlicher Mikrokosmos! Als Brutkasten der Musiktheaterregie! Als Labor!

Mag sein, die beiden Halbschwestern hatten schlicht keine Zeit für Extras. Sie gehen jetzt – am Montag beginnt die Festspielzeit 2011 – in ihren dritten Sommer und haben nicht nur ausreichend mit sich selbst zu tun, sondern ringen mit neuen Verwaltungsstrukturen und erstarkten Gewerkschaften, mit Platznöten, Kartenprogrammen, Freundeskreisen, Rechnungshöfen und Besetzungsfragen.

Einen alten Verdacht aber sollten die Festspiele im Keim ersticken: Den Verdacht, sie zuckten vor allfälligen Jahrestagen zurück, weil sie die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit scheuten. Mit Wolfgang Wagner ist darüber nicht zu reden gewesen, Katharina und Eva tun es ganz offensiv. 2009 beauftragten sie eine unabhängige Historikerkommission mit der weiteren Erforschung der NS–Zeit auf dem Grünen Hügel und forderten alle Familienmitglieder auf, Akten und Dokumente zur Verfügung zu stellen.

Nur: Gehört hat man davon nichts mehr. Ideologiekritische Veröffentlichungen wie Udo Bermbachs „Richard Wagner in Deutschland“ (Metzler Verlag) erhöhen jetzt den Druck, andere werden bis 2013, zum 200. Geburtstag Richard Wagners, folgen. Ein Signal täte Not, eine Perspektive. Spät dran sind die Festspiele ohnehin. Christine Lemke-Matwey

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