zum Hauptinhalt
Choreografin Toula Limnaios (im Ringelshirt) und ihre Truppe im Hof der Halle Tanzbühne in der Eberswalder Straße

© Doris Spiekermann-Klaas

Jubiläum der Compagnie Toula Limnaios: Das Glück des langen Atems

Die Compagnie Toula Limnaios feiert ihr 20-jähriges Bestehen mit einer Retrospektive in der sanierten Halle Tanzbühne.

Von Sandra Luzina

Sie tanzen auf dem Dach, seilen sich von der Feuertreppe ab oder liefern sich wilde Verfolgungsjagden im Hof. Am vergangen Sonntag haben die Tänzer von Toula Limnaios die Halle Tanzbühne mit einer Eröffnungsfeier wieder in Besitz genommen. Seit Januar wurde der denkmalgeschützte Bau saniert – eine dringend notwendige Maßnahme, die durch Mittel der Stiftung Deutsche Klassenlotterie möglich wurde. Pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum der Compagnie erstrahlt die ehemalige Turnhalle in Prenzlauer Berg nun in neuem Glanz. Es gibt also noch Bauprojekte in Berlin, bei denen der Kosten- und Zeitplan eingehalten wird.

2000 hatten die Choreografin Toula Limnaios und der Komponist Ralf R. Ollertz die marode Halle entdeckt und selbst zu einer Produktions- und Spielstätte ausgebaut. Diesmal wurde das Architekturbüro Jahn, das schon für die behutsame Sanierung der Sophiensaele verantwortlich war, beauftragt. Die Infrastruktur wurde erneuert, außerdem ein neuer Bungalow mit Holzfassade entworfen, der neben dem Lager auch Kasse und Bar umfasst. Trotzdem haben die Jahn-Architekten dem Backsteinbau aus dem 19. Jahrhundert seinen alten Charme gelassen. Der Standort ist langfristig gesichert. Anfang 2012 kaufte die Schweizer Stiftung Edith Maryon das Gelände und verpachtet es seither.

Keine Zeit, um in Erinnerungen zu schwelgen

So hat sich doch schließlich alles gut gefügt. Vor sieben Jahren, als die Förderung auf der Kippe stand, hat Toula Limnaios mit dem Gedanken gespielt, Berlin zu verlassen und sich mit ihrer Compagnie in einem anderen Land niederzulassen. Doch sie hat durchgehalten – und schließlich auch die nötige finanzielle Unterstützung erhalten. Seit 2014 hat die Compagnie einen eigenen Haushaltstitel. 2016 wurde die Förderung vom Land Berlin auf 433 000 Euro erhöht. Nach langen kulturpolitischen Kämpfen haben Toula Limnaios und Ralf R. Ollertz ihr Ziel erreicht: Sie können ihre sieben Tänzer nun zwölf Monate im Jahr (und nicht mehr nur zehn Monate wie zuvor) anstellen. Eine Ausnahme in Berlin.

Eine ganze Palette an Emotionen hat die gebürtigen Athenerin vor Augen, wenn sie die vergangenen 20 Jahre Revue passieren lässt: „Wenn ich zurückblicke, sehe ich ganz viele Menschen und Farben, ganz viele Gefühle von Sturm bis heiterem Himmel, von Traurigkeit bis Freude – mit allen Nuancen dazwischen“, sagt sie. Doch sie hat kaum Zeit, um in Erinnerungen zu schwelgen.

Bewegungen offenbaren etwas Inneres

Zum 20-jährigen Bestehen zeigt die Compagnie eine Retrospektive: Ab Donnerstag stehen acht ausgewählte Werke auf dem Programm, die zwischen 2000 und 2013 entstanden sind. Ein wahrer Marathon also. Limnaios springt derzeit im Dreieck: Sie studiert mit Daniel Afonso, Katja Scholz, Karolina Wyrwal und Inhee Yu das hochromantische Werk „Falten der Nacht“ von 2000 ein. Gleichzeitig führt sie den koreanischen Tänzer Dae Ho Lee, der erst seit Mai zur Compagnie gehört, in ihre Arbeit ein. Es mache ihr Freude, ihre Choreografien an jüngere Tänzer weiterzugeben, erzählt sie. „Ich kann in allen Stücken etwas von mir erkennen.“ Vom Solo über das Kammerstück bis zum Gruppenstück zeichnet das Programm exemplarisch die künstlerische Entwicklung von Toula Limnaios nach. 34 Werke hat sie bis heute geschaffen. Immer auf’s Neue beleuchtet sie die menschliche Existenz und experimentiert dabei mit Bewegungen, Bedeutungen, Bildern und Materialien. Dass Bewegungen etwas Inneres offenbaren, davon ist sie überzeugt.

Ihre Arbeit begreift sie als kontinuierliche Recherche und Weiterentwicklung: „Ich habe mich nie auf eine Richtung festgelegt und immer weiter geforscht.“ Oft waren es literarische Werke, die sie inspirierten – Beckett, Camus, Dostojewski sind ihre Lieblingsautoren. Oder sie tauchte in die dunklen Bildwelten Goyas ein.

Bei aller existenzialistischen Grundierung haben ihre Tanzstücke immer eine hinreißende Sinnlichkeit. Und sie eröffnen Imaginationsräume. Bekannt ist Limnaios für ihre poetisch-verrätselten Bilder, die sich jeder eindeutigen Interpretation verweigern.

Nach 20 Jahren eine gesicherte Perspektive

Toula Limnaios versucht nicht nur, möglichst gute Bedingungen für ihre Tänzer zu schaffen. Sie betrachtet sie auch als Partner im kreativen Prozess. „Wenn wir mit einem neuen Stück anfangen, stelle ich ganz viele Fragen und schlage Themen für die Improvisation vor. Viel Material kommt von den Tänzern.“ Deren Persönlichkeiten und Erfahrungen fließen mit ein in die Stücke. Bei ihr sieht man Tänzer, die mit Leib und Seele dabei sind. Sie hat ein Händchen dafür, die richtigen Performer zusammenzubringen.

Ute Pliestermann hat von 2006 bis 2010 in der Compagnie getanzt. Es sei eine intensive Zeit gewesen, erzählt sie. „Ich bin in die Arbeit hineingewachsen – sie hat mich ergriffen, aufgeschluckt.“ 2015 ist sie zur Compagnie zurückgekehrt, als Assistentin von Toula. Doch jetzt ist sie noch einmal als Tänzerin zu erleben in „simply gifts“, das in der Originalbesetzung von 2007 aufgeführt wird. Wahrhaftigkeit ist für sie der Schlüssel zu Limnaios’ Choreografien. Das bestätigt auch die polnische Tänzerin Karolina Wyrwal, die seit fünf Jahren dabei ist. „Die Bewegungen kommen von dir selbst, deswegen ist diese Art zu tanzen sehr ehrlich. Was immer du mit dir herumträgst, bringst du ein als Idee. In der Gruppe fühle ich mich sicher – so kann ich viel mehr probieren und erforschen.“

Und noch etwas demonstriert der Erfolg der Compagnie: dass Griechen und Deutsche wunderbar zusammenarbeiten können. Ihre Stücke hat Toula Limnaios immer gemeinsam mit dem Komponisten Ralf R. Ollertz, ihrem Lebensgefährten, entwickelt. Anfangs haben die beiden die Tänzer privat bezahlt und sind nebenher jobben gegangen. An dem Ensemble-Gedanken haben sie stets festgehalten. Nach 20 Jahren haben sie nun eine gesicherte Perspektive.

Von der Flüchtigkeit des Glücks hat Toula Limnaios immer wieder erzählt. Als Choreografin aber hat sie den langen Atem. Sie freut sich schon auf weitere Entdeckungsreisen. „Ich wünsche mir, dass wir weiter künstlerische und menschliche Abenteuer erleben können, dass wir das weiterbauen können, was wir angefangen haben – mit Begeisterung und Feuer.“

Halle Tanzbühne, 26. Mai bis 14. August, Programm: www.halle-tanz-berlin.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false