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Kultur: "Jud Süss" von Klaus Pohl in Stuttgart uraufgeführt

Ein blutverschmierter, gemordeter Jud Süss im schicken Britpop-Cordanzug baumelt im Käfig. Unter ihm schleicht der alte Herzog durchs Bild, ein Herzog im Engelsgewand.

Ein blutverschmierter, gemordeter Jud Süss im schicken Britpop-Cordanzug baumelt im Käfig. Unter ihm schleicht der alte Herzog durchs Bild, ein Herzog im Engelsgewand. Aus? Ja, das muß es wohl gewesen sein: Klaus Pohls "Jud Süss" im Stuttgarter Staatstheater - eine Uraufführung. Soeben hat Stephan Kimmigs Inszenierung die Schlusspointe von Pohls neuem Stück verpatzt: Während Verwalter und Sekretär noch im Mobiliar des Joseph Süss Oppenheimer nach Pretiosen wühlen, kriecht der fiese, falsche Pflichtverteidiger Mögling auf das Podest, wo eben noch das Bett des Juden stand. Und dann triumphiert er: "Das Bett! Das ganze Bett! Das wollt ich immer haben!"

Ein heikler Stoff, an den sich der Schauspieler-Autor Klaus Pohl da im Auftrag des Stuttgarter Staatstheaters mit viel Mut und Witz herangewagt hat. Ausgangspunkt ist der Justizmord an dem württembergischen Finanzgenie Joseph Süss Oppenheimer im Stuttgart des Jahres 1738. Ein Stoff, der auch NS-Regisseur Veit Harlan einst als Vorlage für seinen antisemitischen Hetzfilm "Jud Süß" als Vorlage gedient hat. Kein Dramatiker hat sich seither an das Sujet gewagt. Um so höher ist es Pohl nun anzurechnen, daß er kein übervorsichtiges, blutleeres Historienstück geschrieben hat, sondern dramatisches Kapital aus einem der finstersten Kapitel Stuttgarter Stadtgeschichte geschlagen hat. Allein, man hätte ihm einen anderen Uraufführungsregisseur gewünscht.

Da sind zum einen Mögling und das Bett. Man kann es dem verklemmten Juristen nicht verdenken, daß er es auf das Bett des Joseph Süss Oppenheimer abgesehen hat. Denn dort vergnügt sich der Jude im Stück nicht nur mit Möglings Ex, der feschen "Karnevalsaushilfe" Ida. Vom Bett aus organisiert Süss, der brachialkapitalistische Modernisierer, auch das herzögliche Finanzimperium: mit Erfolg und ohne Rücksicht auf Verluste - was die protestantische, württembergische Beamtenschar gewaltig in Rage versetzt - allen voran den gedemütigten Mögling.

Bühnenbildnerin Katja Haß hat Oppenheimers Bett in eine stickige, puffrote Lusthöhle gestellt, einem Schneckenhaus ähnlich. Rund um das Bett gruppiert Pohl auch die einzelnen Szenen seines zweiteiligen Dramas. Vor der Pause: der letzte Tag des Joseph Süss Oppenheimer. Er endet in einer turbulenten Karnevalsorgie, während der der berauschte Herzog seinem allseits verhaßten Finanzberater einen letzten Schutzbrief ausstellt. Nach der Pause ist der Herzog tot. Mögling nutzt die allgemeine Pogromstimmung und setzt einen persönlichen Rachefeldzug in Gang, an dessen Ende die Hinrichtung des Joseph Süss Oppenheimers steht. Spannender Theaterstoff, wie man ihn sich eigentlich nur wünschen kann.

Stephan Kimmig jedoch haben die zwischenmenschlichen Verstrickungen offenbar herzlich wenig interessiert. Thomas Loibl in der Rolle des Süss-Gegenspielers Mögling läßt er hemmungslos als graugewandete, ölige, angstschweißdurchnäßte Knallcharge agieren. Samuel Weiss in der Titelrolle schlägt sich zunächst wacker als agil-flexibler Jungkarrierist mit gewaltigem Identitäts- und Potenzproblem. Doch macht er sich dabei schon im ersten Teil derart weinerlich ins schicke Hemd, daß ihm für die rasante Himmelfahrt im zweiten Teil kaum mehr Ausdrucksmittel übrig bleiben. Kein Wunder also, daß einen das Glaubensbekenntnis des assimilierten Juden im Käfig am Ende nicht mehr sonderlich interessiert. Und Ida, jene Frau, die im Stück immerhin drei Männern die Sinne raubt, verkommt bei Silja Bächli zum belanglos naiven, blonden Dekor. Von Personenregie war da nicht viel zu spüren.

Am schlimmsten jedoch ist der ästhetische Bruch, den Kimmig nach der Pause riskiert, um dem bis dahin drögen, szenischen Provinzrealismus zu entfliehen. Die puffrote Tapete ist ab, das Licht leuchtet gespenstisch grün oder bleibt ganz aus und Süss fällt den sadistischen Kabarettstückchen Möglings und seiner Helfer anheim. Damit wird der Fall "Jüd Süss" endgültig zur belanglosen Personality-Story verniedlicht. Das ist umso bedauerlicher, als Kimmigs Inszenierung seine größte Chance vergibt: Von den individuellen und gesellschaftlichen Mechanismen, die in einer Zeit des Umbruchs und der allgemeinen Desorientierung den Sündenbock "Jud Süss" hervorbringen, erfährt man nichts. Dabei könnten sie die eigentliche Aktualität des Stücks ausmachen. Bei Pohl ist sie angelegt. Kimmig entschärft den Sprengstoff und bescheidet sich mit einer provinziellen Bettgeschichte.

Marion Ammicht

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