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Kultur: Jüdischer Film: Eine Gemeinde verschwindet

Zehn Männer sind im Judentum nötig, um einen Gottesdienst zu halten. "Als wir nur noch neun Männer waren, haben wir den zehnten durch eine Tora ersetzt", erzählt Robert Lévy, "dann den neunten durch eine zweite und so weiter.

Zehn Männer sind im Judentum nötig, um einen Gottesdienst zu halten. "Als wir nur noch neun Männer waren, haben wir den zehnten durch eine Tora ersetzt", erzählt Robert Lévy, "dann den neunten durch eine zweite und so weiter. Irgendwann haben wir aufgehört - es wäre eine Tora-Versammlung gewesen." Denn die kleine jüdische Gemeinde im jurassischen Delémont zählt nur noch sieben Mitglieder, fünf Frauen und zwei Männer, alle weit über achtzig Jahre alt. Ihre Kinder sind längst weggezogen aus Délemont, in größere Städte.

Von 1992 bis 1999 begleitete der Schweizer Filmemacher Franz Rickenbach die sieben Frauen und Männer mit der Kamera: Er schaut ihnen über die Schultern, wenn sie in vergilbten Alben blättern oder die Gemeindeversammlung am Wohnzimmertisch abhalten. Das Berliner Kino Arsenal zeigt Rickenbachs Film "Eine Synagoge zwischen Tal und Hügel" im Rahmen einer Filmreihe zur Eröffnung des Jüdischen Museums.

Die hölzernen Bänke der Synagoge in Delémont sind leer. Nur ganz vorn, in der ersten Reihe, sitzen die sieben. Sie blicken in die Kamera, lächelnd oder skeptisch, traurig oder gleichmütig, denn sie sind sehr verschieden, der Ingenieur Robert Lévy, die Viehhändlerin Renée Lévy oder die Textilverkäuferin Trudy Meyer. Gemeinsam ist ihnen die Erinnerung an die Gottesdienste in der Synagoge, wo manchmal keiner den Rabbi verstand und die Schokolade während des unerträglich langen Jom-Kippur-Gottesdienstes in der Jackentasche schmolz. Einmal klebte ein Gemeindemitglied das Geländer der Empore zu, damit niemand die Beine seiner Frau sehen konnte.

Rickenbach dokumentiert in seinem Film die Vergangenheit nicht, sondern spielt sie nach: einer persönlichen Erinnerung gleich, die oft verklärt und gar nicht den Anspruch hat, exakt zu sein. Und so gibt er eine Ahnung davon, was der kleinen Gemeinde verlorengegangen ist. Immer wieder stellen sich die Darsteller mit ihren Verwandten oder den Bildern Verstorbener wie für ein Familienfoto auf und versuchen stillzuhalten, während die Kamera sie filmt. Trudy Meyer hält ein altes Spitzennachthemd vor sich, im nächsten Bild zwei rosa Socken, einen Pyjama und eine lange Männerunterhose, als wären es Beweisstücke aus der Zeit, als sie mit ihrem verstorbenen Mann noch Wäsche verkaufte. In diesen Momenten wirkt der Film wie eine Sammlung berührender Bilder, eine fotografische Bestandsaufnahme dessen, was übriggeblieben und doch bereits vergangen ist: Vier der sieben sind mittlerweile gestorben. Sie haben den Film nie gesehen.

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