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Kultur: Jugend und Holocaust: Denn sie sollen wissen

Sachsen-Anhalt ist ein schönes Land, aber es hat ein hässliches Problem: den Rechtsextremismus. Die Zahl der gewaltbereiten Neonazis und Skinheads wird vom Landesamt für Verfassungsschutz seit Mitte der 90er Jahre konstant auf 600 bis 700 geschätzt.

Sachsen-Anhalt ist ein schönes Land, aber es hat ein hässliches Problem: den Rechtsextremismus. Die Zahl der gewaltbereiten Neonazis und Skinheads wird vom Landesamt für Verfassungsschutz seit Mitte der 90er Jahre konstant auf 600 bis 700 geschätzt. Immer wieder kommt es zu Übergriffen auf ausländische Mitbürger und Jugendliche aus der linken Szene. Der spektakulärste Fall in jüngster Zeit war der Mord an Alberto Adriano, verübt in Dessau von drei jungen Tätern.

Langenstein ist ein schönes Dorf im Vorharz. Im zwei Kilometer abgelegenen Ortsteil Zwieberge, zwischen den grün bewachsenen Thekenbergen, war zwischen April 1944 und April 1945 ein KZ-Außenlager von Buchenwald. Von den 7200 Häftlingen, die für die unterirdische Raketenproduktion einen Stollen in den Berg schlagen mussten, überlebten 5000 nicht. Das wusste damals wohl kaum jemand im Dorf. Der Weg raus nach Zwieberge war abgesperrt.

Dass Langenstein-Zwieberge heute eine KZ-Gedenkstätte ist, weiß jeder im Dorf. Es gibt einen Freundeskreis der Gedenkstätte, und manchmal kommen Jugendliche vom Gedenkstätten-Workcamp, um im Dorf Zeitzeugen zu befragen. Seit einigen Monaten werden der kleine Museumsbau und die Außenanlage mit Appellplatz, Überresten der Häftlingsbaracken und einem Mahnmal aus der DDR-Zeit neu konzipiert.

Im Ort selber gebe es keine Probleme mit Neonazis, sagt Regierungspräsident Gerhard Miesterfeldt am Rande einer Ausstellungseröffnung, wohl aber in der Region Ostharz. Aber mit Rechtsradikalen in eine KZ-Gedenkstätte zu gehen, habe ohnehin keinen Zweck. "Man muss die anderen in ihrer Argumentation gegen Rechts stärken."

Einige junge Neonazis aber kommen auch dort an. Wenn nicht an ihrem Äußeren, erkennt Gedenkstättenleiterin Ellen Fauser sie an ihren Fragen. Sie erklärt die Geschichte des Lagers, das entsetzliche Prinzip der "Vernichtung durch Arbeit", und ein Mädchen fragt: "Wissen Sie eigentlich, wer Rudolf Heß war?" Fauser antwortet dann, dass die Jugendlichen das wohl besser wüssten als sie, ihre Aufgabe sei eine andere.

Hanno Nowak, Geschichtslehrer aus dem acht Kilometer von Langenstein entfernten Halberstadt, kennt die Frage nach dem rechten Idol Heß. Er habe sich inzwischen über den "Stellvertreter Hitlers" belesen und könne den Jugendlichen mehr erzählen als die Halbwahrheiten aus der Propagandaliteratur. Er versucht zu informieren und zu entmystifizieren. Einen Gedenkstättenbesuch in Langenstein hat Nowak bislang nicht mit allen Real- und Hauptschülern gewagt. "Nicht jede Klasse ist dafür zu sensibilisieren", sagt er vorsichtig. Ab dem nächsten Schuljahr wollen die Halberstädter den Besuch am Ort des Schreckens trotzdem zum Pflichtprogramm machen. So wie es früher in der DDR war, nur unter ganz anderen Vorzeichen. Zunächst sollen die Lehrer eine Fortbildung in Langenstein-Zwieberge durchlaufen.

Denn nicht nur der Umgang mit rechtsextremen Schülern ist problematisch. Wenn Ursula Härtl, Gedenkstättenpädagogin aus Buchenwald, das Kichern hinter ihrem Rücken hört, wenn sie sieht, wie Jugendliche sich erstmal lässig eine Zigarette anstecken, sagt sie: "Kinder, das ist hier ein Friedhof, ihr könnt nie wissen, ob ihr gerade auf Erde oder auf der Asche der Toten steht." Zugegeben, sagt Härtl, das sei eine etwas harte Methode, aber sie helfe. "Die werden dann ganz still und fangen an zu fragen."

Schüler versinken auf dem Weg über das Gelände oder durch die Ausstellung mit den authentischen Relikten zwangsläufig in lähmende Beklommenheit, gab dagegen Wolf Kaiser vom Berliner Haus der Wannseekonferenz bei einem Treffen deutscher und polnischer Gedenkstättenpädagogen zu bedenken. In dieser Situation könnten sie nicht mehr denken. Deshalb sollten der Besuch am unmittelbaren Ort der Verbrechen und die Reflexion möglichst räumlich getrennt werden. In der Schule muss das Nachdenken über das KZ und das System, das es betrieb, weitergehen. Und in den Familien.

Thomas Lutz von der Dokumentationsstätte "Topographie des Terrors" in Berlin sagt: "Die Jugend, die Jugend - das sind die Einzigen, die man zwingen kann, in die Gedenkstätten zu gehen." Die viel schwierigere Aufgabe sei es, die Erwachsenen in die Gedenkstätten zu bringen. Erwachsene bestimmen die Welt, in der Jugendliche aufwachsen, sie prägen die Einstellungen ihrer Kinder stärker als die Schule.

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