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Erster Band einer neuen Reihe, die es Harry Potter gleich tun will.

© Abb.: Insel

Jugendbuch: Gefahr am Pol

Eine Welt voller Illusionen und Intrigen: Christelle Dabos Fantasy-Saga von der „Spiegelreisenden“.

Ob das für den Insel Verlag, der zur Suhrkamp-Gruppe gehört, hinhaut mit dieser Reihe über die „Spiegelreisende“ von der französischen Autorin Christelle Dabos? In Frankreich und den USA sind die Bände zu Bestsellern geworden. Die „New York Times“ und das französische Frauenmagazin „Elle“ fanden, dass etwa der erste Band, „Die Verlobten des Winters“, Harry Potter „in nichts nachstehen“ würde, er den „Humor“ und den „Gerechtigkeitssinn“ der Rowling-Saga habe. „Die Verlobten des Winters“ ist nun auch auf Deutsch erschienen, Ende Juli folgt der zweite Teil, „Die Verschwundenen im Mondpalast“. Nach der Lektüre des ersten Bandes muss man jedoch sagen, dass sich das ganze Unternehmen etwas schwer anlässt [Christelle Dabos: Die Verlobten des Winters. Band 1 der Spiegelreisenden Saga. Übersetzt von Amelie Thoma. Insel, Berlin 2019. 535 Seiten, 18 €. Ab 14 Jahren].

Was unbedingt überzeugt: die fantastische Welt, die Dabos geschaffen hat, eine Welt, die nach einem großen, zerstörerischen Riss kaum noch eine solche ist. Übrig geblieben sind nur einzelne im All herumschwebende Inseln, die sogenannten Archen. Auf einer dieser Archen, die Anima heißt, lebt Ophelia mit ihren Cousins und Cousinen recht glücklich und unbeschwert. Man könnte von einer Art Mumins-Land sprechen: alles ganz hübsch auf Anima und ein bisschen rätselhaft.

Ophelia ist nicht sehr glamourös mit ihrer Brille, ihrer leisen Stimme, ihrem Schal, den sie immer trägt, genau wie ihre Handschuhe, sowie mit ihrer nachlässigen Kleidung. Aber sie hat besondere Fähigkeiten: Sie kann in Dingen lesen, kann deren Geschichte erkennen, dafür muss sie nur ihre Handschuhe abstreifen – und sie vermag es, deswegen der Titel der Reihe, durch Spiegel zu treten.

Wie zeitgemäß ist Zwangsehe als Leitmotiv für eine Jugendbuchreihe?

Eine interessante Heldin, so scheint es. Zumal sie sich auf Anima erfolgreich dagegen gewehrt hat, zu heiraten. Ihr widerstandsfähiger Geist wird nun auf die Probe gestellt, als sie auf Befehl ihrer Familie den Bund der Ehe eingehen muss: auf einem anderen Archipel, dem düsteren, eisigen Pol. Thorn heißt ihr zukünftiger Mann, er ist der undurchdringliche sogenannte Intendant und damit Finanzverwalter dieser, wie man erfahren wird, brutalen Polwelt. Die ist voller Boshaftigkeiten und Intrigen, aber auch voller Illusionen und toller Aufbauten wie der Himmelsburg und dem Mondscheinpalast. Nur stellt sich die Frage: Warum regt sich so wenig Widerstand bei Ophelia? Warum ist sie so gefügig, lässt so viel mit sich geschehen? Wie man sich überhaupt fragt, wie zeitgemäß eine Jugendbuchreihe mit einer Zwangsehe als Leitmotiv ist.

Klar, Ophelia soll letzten Endes das Geheimnis eines Buches aufdecken, nämlich das des Pol-Oberen, des Familiengeistes Faruk. Sie allein kann es wegen ihrer Fähigkeiten lesen, es war bislang nicht zu entziffern. Und klar, sie will Thorn nicht heiraten, sie empfindet nichts für ihn und sagt manchmal, genau wie ihre „Anstandsdame“ Roseline, offen ihre Meinung, was am Pol nicht Usus ist.

Trotzdem wirkt Ophelia etwas bieder, erzeugt Dabos Spannung allein dadurch, dass ihre Heldin sich häufig in Gefahr befindet. Was führt Tante Berenilde im Schilde? Warum will Thorns Großmutter sie aus dem Weg haben? Ist nicht auch Thorn bedroht? Das sind weitere Fragen, die sich Kapitel für Kapitel stellen, und mehr Zug würde man sich trotz der schimmernd-schillernden und mitunter mittelalterlich anmutenden Fantasy-Welt schon wünschen. Was bei Harry Potter übrigens nicht anders war: Spätestens ab Band vier verlor J.K. Rowling sich auf zu vielen Nebenschauplätzen, wurden die Potter-Abenteuer immer langatmiger. Vielleicht ist es bei Dabos umgekehrt und man kommt ab dem zweiten Band aus den Turbulenzen nicht mehr heraus.

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