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Spannendes Debüt über Integration in Kreuzberg.

© Drava Verlag

Jugendroman: Madonna, meine Rettung

Eine Jugendliche verliert ihre Heimat: „Die Reise zum ersten Kuss. Eine Kosovarin in Kreuzberg“, erzählt von Arta Ramadani

Papa ist auf Dienstreise“ – das erzählt die Mutter ihrem Sohn im gleichnamigen Film von Emir Kusturica, als der Sechsjährige wissen will, wohin sein Vater verschwunden ist. Der Junge glaubt ihr. Dabei befindet sich der Papa keineswegs auf Geschäftsreise, sondern wurde wegen einer unliebsamen politischen Aussage in ein Arbeitslager gebracht.

Vielleicht erinnert sich die Mutter von Era an diese im Sarajevo der fünfziger Jahre spielende Tragikomödie, als sie ihrer zwölfjährigen Tochter erklären muss, warum deren Vater vom einen auf den anderen Tag nicht mehr da ist. „Er ist zum Arbeiten in eine andere Stadt gegangen und wird auch nicht mehr so bald zurückkehren“, sagt sie und drückt Era ganz fest. Dass die Ich-Erzählerin von Arta Ramadanis „Die Reise zum ersten Kuss“ sich mit dieser Aussage zufrieden gibt, erscheint einigermaßen merkwürdig. Denn in der Nacht zuvor hatten serbische Soldaten die kleine Wohnung der dreiköpfigen Familie in Pristina durchsucht. Sie knallten mit den Türen, zerschlugen Geschirr. Era versuchte den Lärm mit Madonna-Liedern aus dem Walkman zu übertönen und schlief irgendwann wieder ein – alles nur ein böser Traum, dachte sie. Die Scherben auf dem Küchenboden hätten sie am nächsten Morgen eines Besseren belehren können. Doch sie glaubt ihrer Mutter.

Dass der Vater für zwei Jahre ins Gefängnis muss und nicht im Ausland arbeitet, scheint deutlich durch im Debütroman der in Mainz lebenden Fernsehjournalistin Arta Ramadani, die selbst aus der Kosovo-Hauptstadt Pristina stammt, im Nachwort aber betont, dass ihr Buch trotz autobiografischer Elemente nicht ihr Leben erzählt. Wobei ihr Vater wirklich aus politischen Gründen in Haft war und ihre Familie in Deutschland Asyl bekam – genau wie die Familie im Roman.

Flucht nach Berlin

Die erste Hälfte der „Reise zum ersten Kuss“ spielt Mitte der Neunziger, als sich die Situation im Kosovo langsam zuspitzt. Die albanische Mehrheit in der noch zu Rest-Jugoslawien gehörenden Republik wird aus staatlichen Betrieben und dem Bildungssystem gedrängt. So hat Era plötzlich schulfrei. Ihre bildungsbewussten und religionsfernen Eltern organisieren Unterricht für sie – und Widerstand gegen die Repressalien. Doch dann wird Eras Lieblingsonkel Agim bei einer Versammlung von serbischen Polizisten erschossen, ihr Vater flieht nach Berlin, bald darauf sollen Mutter und Tochter nachkommen.

Era will nicht gehen, sie hat Angst. Ihre Mutter überzeugt sie schließlich damit, dass mit dem Umzug die Wahrscheinlichkeit steigt, einmal ein Konzert der von Era abgöttisch verehrten Madonna zu besuchen. Zunächst landet sie jedoch in einem Flüchtlingsheim in Kreuzberg. „Das Blödeste an diesem Heim war, das ich hier nie für mich sein konnte. Immer war jemand da. Kein eigenes Zimmer, kein eigenes Klo“, beschreibt sie die Situation.

In ihrem bewusst naiven, fast tagebuchartigen Duktus wirft Ramadani ein anschauliches Schlaglicht auf eine Jugend in Kreuzberg, wo einige Kinder mit Migrationsgeschichte das Privileg deutscher Papiere haben, andere aber stets von der Abschiebung bedroht sind. Auch zwanzig Jahre später kennen viele Jugendliche dieses Gefühl. Allerdings wünschte man der Debütantin, dass ihr Lektorat ihre stilistische Ungelenkigkeit etwas begradigt hätte und weniger Redundanzen und Tippfehler zugelassen hätte.

Arta Ramadani: Die Reise zum ersten Kuss. Eine Kosovarin in Kreuzberg. Roman. Drava Verlag. Klagenfurt 2018. 191 Seiten, 18,80 €. Ab 14 Jahren.

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