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Christian Linker hat einen spannenden Thriller zum Thema einheimischer Dschihadisten geschrieben.

© dtv

Jugendthriller von Christian Linker: Schleichende Verführung

Christian Linker gibt in „Dschihad Calling“ Einblicke in das salafistische Milieu.

„Die Augen waren von einem verstörenden Blau. Man sah nur die und sonst nichts von ihr, denn ein samtschwarzer Schleier verhüllte den Kopf, verbarg das Gesicht und fiel auf die Schultern herab. ... Sie war pure Provokation.“ Jakob verliebt sich unsterblich. Begegnet ist er ihr in einer unappetitlichen Unterführung, als zwei rechtsradikale Typen versuchen, dieses Mädchen mit den blauen Augen zu belästigen. Das war am 21. Oktober, lange her. Jetzt sitzt Jakob im Gefängnis und erzählt rückblickend die Geschichte seiner Liebe zu diesem Mädchen Samira und der Beziehung zu ihrem Bruder Adil, der ihm sein Tagebuch ins Gefängnis hat schicken lassen – ein schlechtes Zeichen.

„Dschihad Calling“ ist der etwas reißerische Titel des Jugendthrillers von Christian Linker, der einen schnell packt und der erstaunliche Einsichten in das salafistische Milieu vermittelt. Hilflos sehen sich die Erwachsenen oft den jungen Europäern gegenüber, die sich zum salafistisch geprägten Islam bekehren lassen, um dann eventuell nach Syrien in den Dschihad zu ziehen. Linker hat sich dieses Themas angenommen und zu einem vielschichtigen Roman ausgearbeitet, der ohne Pädagogisierung oder erhobenen Zeigefinger auskommt. Es ist die Geschichte einer schleichenden Verführung, aber anders als man zunächst denkt.

Jakob lässt seine Geschichte Revue passieren, wie in einem Tagebuch sind die einzelnen Abschnitte mit Datum versehen, später sogar mit dem Datum nach islamischer Zeitrechnung. Dazwischen streut Linker die Tagebucheinträge Adils in anderer Schrift, das Tagebuch einer Reise in den Dschihad.

Jakob wird durch eine geniale „paradoxe Intervention“, die er im Präventionsunterricht in der Schule gelernt hatte, zum Retter der jungen Frau mit den stechend blauen Augen. Er muss sie unbedingt wiedersehen, während zuhause seine Freundin Liz wartet, die sich in der Beziehung schon fast eheähnlich eingerichtet hat. Aber Jakob weiß eigentlich nicht so richtig, was er jetzt will, was das Studium ihm bringen soll. Vielmehr interessiert ihn, zu wem die blauen Augen gehören.

Die klaren Strukturen faszinieren Jakob

Zufällig entdeckt er in einem Artikel ihr Foto, sie missioniert in einem Salafistenverein junge Mädchen, beantwortet Fragen zum Islam. Jakob ruft dort an und verwickelt sie in Gespräche, ja besucht sogar die Moschee, um sie wiederzusehen. Dort trifft er auf Adil, der das vorgeschobene Interesse Jakobs ernst nimmt.

Natürlich verliebt Jakob sich in Samira und natürlich ist das mit einer strenggläubigen Muslima nicht so einfach. Klug beobachtet ist der Prozess der schleichenden Verführung durch Adil, wie er dem etwas orientierungslosen Jakob eine Heimat bietet, einen Fixpunkt in seinem Leben, den er in seiner alten Familie nicht mehr findet. Die klaren Strukturen der Salafisten beginnen ihn immer mehr zu faszinieren, während Samira sich in ihren Telefonaten mit Jakob als kluger Gegenpol ihres Bruders erweist. Sie vertritt einen anderen Islam als er, zeigt Mut und wagt es, in der Moschee dem Hassprediger öffentlich zu widersprechen.

Verstörend wirken die immer wieder eingestreuten Berichte Adils, der sich auf Schleichwegen nach Syrien aufmacht, um dort beim sogenannten Islamischen Staat zu kämpfen. Er ist einer anderen Verführung erlegen. Linker hat gut recherchiert für seinen Roman, denn die Erlebnisse Adils klingen glaubhaft und realistisch. Jakob und Adil versprechen sich beide Orientierung und Wertschätzung von ihrem Handeln, sie suchen einen Halt, den ihnen die Gesellschaft offensichtlich nicht bietet. Es würde das Lesevergnügen erheblich mindern, jetzt mehr zu verraten, nur so viel: Christian Linker ist ein aufregender und gleichzeitig aufklärerischer, spannender Roman gelungen, dessen Aktualität leider noch lange anhalten wird.

Christian Linker: Dschihad Calling. Roman. dtv Verlagsgesellschaft, München 2016. 320 Seiten. 14,95 Euro. Ab 14 Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

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